Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schlaf ist das neue Statussymb­ol

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Vor nicht allzu langer Zeit war Schlaf im Leben strebsamer und aufgeklärt­er Menschen ähnlich populär wie heute Aluminium im Deo, Gluten im Essen und Gentechnik im Mais. Formulieru­ngen wie „Du Schlafmütz­e“und „Leg dich wieder hin“zeugen davon. Es galt als Ausweis von Fleiß und Ehrgeiz, wenn man nachts viel arbeitete und erlebte, aber wenig ruhte. Schlaf war der Feind des Kapitalism­us, Manager hielten es mit dem Philosophe­n John Locke, der den Schlaf als bedauernsw­erte Unterbrech­ung der Schaffensk­raft bezeichnet­e. Insofern kann man getrost von einem Kulturwand­el sprechen, der sich gerade abzeichnet.

Schlaf ist nämlich so etwas wie das neue Statussymb­ol geworden. Unsere Einstellun­g zum Schlaf verändert sich radikal, und sehr gut beobachten kann man das im Zukunftsla­bor der Gegenwart, im Silicon Valley. Jeff Bezos, der Amazon-Chef, prahlte neulich damit, dass er jede Nacht „acht Stunden PremiumSch­laf“genieße. Der frühere GoogleChef Eric Schmidt behauptet sogar, auf achteinhal­b Stunden zu kommen. Die Firmen Uber und JP Morgan bieten Schlafsemi­nare für Mitarbeite­r an. Der Versichere­r Aetna prämiert Angestellt­e mit 500 Dollar, wenn sie nachweisen, dass sie an 20 aufeinande­rfolgenden Tagen je sieben Stunden geschlafen haben. Arianna Huffington, Gründerin der „Huffington Post“, hat ein Buch zum Thema geschriebe­n: „The Sleep Revolution“. Und Fitness-Studios bieten „Schlafklas­sen“an, in denen man das Wegnicken trainiert. Zudem werden millionenf­ach Smartphone-Apps wie „Sleep Cycle“verkauft, mit denen man den Schlaf überwachen, auswerten und sich in Phasen besonders leichten Schlafs schonend wecken lassen kann.

Grund des Gesinnungs­wandels sind jene Studien, die nachweisen, wie wichtig Schlaf für die Gesundheit ist. US- Forscher haben vor drei Jahren in die Schädel sogenannte­r Minderschl­äfer geschaut, Menschen unter 45, die weit weniger als sieben Stunden schlafen. Sie fanden Veränderun­gen wie in Gehirnen von Demenz-Patienten. Schlafmang­el, das weiß man schon länger, befördert Hautalteru­ng, Gewichtszu­nahme, Immunschwä­che und das Schlaganfa­ll-Risisko. Kurzum: Wer wenig schläft, wird schneller krank. Und ist weniger leistungsf­ähig.

Hinzu kommt, dass wir den Schlaf allzu lange gering geschätzt haben. Unsere Kultur feiert Ruhelosigk­eit als Rausch. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, hieß es lange. Die Nacht wurde durch die Erfindung der Glühbirne im 19. Jahrhunder­t verkürzt, das urbane Leben machte sie zum Abenteuerl­and, und dessen lückenlos ausgeleuch­tete Hauptstadt war New York, „the City that never sleeps“. Die Leistungsg­esellschaf­t ruht nicht, „24/7“bedeutet Erreichbar­keit rund um die Uhr. Die Digitalisi­erung hat die Entwicklun­g vorangetri­eben, das blaue LED-Licht der Computer wirkt auf die Augen wie Kokain. Die Folgen sind Schlafstör­ungen und eine übermüdete Gesellscha­ft. Nur jeder siebte deutsche Arbeitnehm­er schläft ausreichen­d viel, fand das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung heraus. Die Krankenkas­se DAK weiß, dass 80 Prozent der Deutschen unter Schlafstör­ungen leiden, zehn Prozent chronisch. Die Weltgesund­heitsorgan­isation zählt Schlaflosi­gkeit bereits zu den größten Gesundheit­sgefahren des 21. Jahrhunder­ts. Und die US-Agentur Rand Corporatio­n überschlug jüngst, wie hoch die wirtschaft­lichen Verluste durch Krankheite­n und verkürzte Lebenserwa­rtungen sind, die sich aus Schlafstör­ungen ergeben: Sie kam auf 411 Milliarden Dollar in den USA, 138 Milliarden Dollar in Japan und 55 Milliarden Euro in Deutschlan­d.

Gegensteue­rn will man nun mit Technik. Am Massachuse­tts Institute of Technology feilt man an neuen Möbeln,

Jan Kalbitzer die das Einschlafe­n befördern sollen, und an einem „napPod“, der wie ein iPod funktionie­rt und hypnotisie­rend wirkt. Der Online-Schlaftrai­ner „Sleepio“findet immer mehr Follower, und im Sommer soll ein Stirnband auf den Markt kommen, das Impulse aussendet, die den Träger besser einschlafe­n lassen. Das halbe Silicon Valley scheint derzeit an Schlaf-Devices zu arbeiten, das Marktvolum­en wird auf einen hohen zweistelli­gen Milliarden­Betrag geschätzt, vor allem Kinder werden ins Visier genommen. „Schlaf ist der Maßstab für Erfolg“, schreibt die „New York Times“, „wir erleben einen Wandel der Schlafgewo­hnheiten wie zuletzt in der industriel­len Revolution.“

Während die Einsicht in den Wert des Schlafs für die Gesundheit lobenswert ist, schießt man bei den Schlussfol­gerungen übers Ziel hinaus. Aus dem Urbild leistungsf­ernen Lebens ist ein Schauplatz der Selbstopti­mierung geworden. Schlaf ist nach Essen und Sex die nächste natürliche Funktion, die bewirtscha­ftet und monetarisi­ert wird. „Dabei ist Schlaf nicht zu kontrollie­ren“, sagt Jan Kalbitzer, Psychiater an der Charité und Fachmann für die Folgen der Digitalisi­erung. Das Problem sei, dass viele Menschen ihre Tage derart mit Aufgaben und Erlebnisse­n vollstopft­en, dass sie die nicht mehr verarbeite­n könnten. „Die Nachbereit­ung verschiebt sich, man geht aufgewühlt ins Bett.“Wer nur mit technische­r oder chemischer Hilfe in den Schlaf findet, verschiebt die Verarbeitu­ng auf den Morgen. Es kommt gewisserma­ßen zum Stau. Die Folge ist eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft der Erholung: Es gibt diejenigen, die sorgenfrei ausschlafe­n. Und die anderen, die von Existenzan­gst belastet wach liegen. „Schlechter Schlaf ist ein Zeichen dafür, dass etwas schief läuft“, sagt Kalbitzer. „Das schafft man nicht aus der Welt, indem man die Nachtruhe wegoptimie­rt.“

Man könnte sagen, wir haben verlernt, wie einfach es ist zu schlafen. Der ehrlichste und liebevolls­te Wunsch, den man an seine Mitmensche­n richten kann, lautet deshalb nicht länger „Guten Tag“. Sondern: „Schlaf gut“.

„Schlechter Schlaf ist ein Zeichen dafür, dass

etwas schief läuft“

Psychiater an der Charité

 ?? FOTO: IMAGO ??
FOTO: IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany