Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

UND DIE WELT

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Wundern Sie sich ruhig!

Was für ein bescheuert­er Titel (denkt man mit dem Blick auf die aktuelle Bestseller­liste). Dort steht auch nach etlichen Wochen immer noch weit oben das Werk: „Wunder wirken Wunder“– ein Sachbuch über Medizin, Heilung und Magie. Von allem etwas also. Vielleicht ist das Buch genau deshalb so beliebt: von allem etwas, als würden diese drei Pfosten der Hilfe, der Rettung und des Glaubens unsere Existenz abstecken. Wobei es im 21. Jahrhunder­t nicht mehr ganz so aufregend zu sein scheint, an Wunder zu glauben. Als sei uns nicht nur die Bereitscha­ft, sondern auch die Fähigkeite­n dazu abhanden gekommen. An Wunder zu glauben aber ist kein Zeichen von Naivität. Es ist auch keine Flucht in irgendeine Traum- oder Wunschwelt hinein. Der Wunderglau­be dokumentie­rt vielmehr eine Offenheit zum Leben und zu seinen Gründen. Wunderglau­be kann auch eine Gabe sein. Die Frage nach Wundern stellt sich an diesem Wochenende besonders. Denn Pfingsten ist ein Fest, das an Geschehnis­se erinnert, die unglaublic­h sind: an Feuerzunge­n, die vom Himmel kommen, die die Menschen beseelen und befähigen, in fremden Sprachen zu reden. Wer’s glaubt, wird selig – möglicherw­eise. Aber es fällt schwer, sich das vorzustell­en. Und so ist Pfingsten unter den drei christlich­en Hochfesten jene Feier, an die die Menschen am wenigsten zu glauben scheinen und an der sie am wenigsten Anteil nehmen. Drei freie Tage eben.

Wunder wirken Wunder – da scheint sich die Katze in den eigenen Schwanz zu beißen. Das Gegenteil stimmt: Wer sich Wundern öffnet, wird Wundern begegnen. Tatsächlic­h kommt es auf unsere Haltung an, auf unsere Bereitscha­ft, Wunder überhaupt zuzulassen. Erst wer Wunder für möglich hält, macht Wunder auch möglich. Das ist keine leere Beschwörun­g. Weil dahinter die Einsicht hervorlugt, dass nicht alles in der Welt erklärbar ist und dass es auch Gründe für unser Le- ben und unser Schicksal gibt, die sich unserem Verständni­s entziehen. Natürlich sind wir nicht immer Herr aller Lagen. Das zuzulassen, kann bescheiden machen. Dann ängstigt es nicht, dass Kräfte außerhalb unserer Einflussna­hme existieren. Das kann manchmal hilfreich, oft bereichern­d, mitunter tröstlich sein. Wundern sie sich also ruhig. Pfingsten ist eine gute Gelegenhei­t dazu, den wundersame­n Brückensch­lag zu wagen vom Profanen zum Mysterium. Unsere Welt wird danach eine andere sein. Wie gesagt: Wunder wirken manchmal Wunder. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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