Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ja, mir san mit’m Wagen da!

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Vor 80 Jahren kam in den USA erstmals ein Einkaufswa­gen zum Einsatz. Zur Verwunderu­ng des Erfinders war der Korb zunächst ein Flop. Erst ein Trick und später ein Bayer verhalfen ihm zum Durchbruch.

DÜSSELDORF Im November des vergangene­n Jahres entdeckte mein Sohn Hannes seine Liebe zu einem vierrädrig­en Gefährt. Das allerdings nicht in einem Auto-, sondern in einem Möbelhaus. Hannes musste damals seine gestresste­n Eltern bei deren Suche nach Einrichtun­gsgegenstä­nden begleiten. Dass der knapp Einjährige die gefühlt endlos dauernde Shoppingto­ur ohne Murren über sich ergehen ließ, hatte nur einen Grund: seine allererste Spritztour in einem Einkaufswa­gen.

Was für ein sensatione­lles Erlebnis! Bei der Papa-motorisier­ten, zugegebene­rmaßen halsbreche­rischen

Fahrt durch die Gänge, vorbei an langen Regalreihe­n mit Lampen, Badezimmer­möbeln und anderweiti­gem Interieur gluckste und quiekte Hannes vor Freude. Dabei wäre ihm dieses rasante Glück beinahe verwehrt geblieben. Denn der Einkaufswa­gen wäre um ein Haar zum Ladenhüter geworden. Vollmundig hatte der Unternehme­r Sylvan Goldman am 4. Juni 1937 den Shopping-Drahtesel angekündig­t: „Er ist neu – er ist sensatione­ll“, lautete der Werbespruc­h in der Zeitungsan­zeige, mit der der Eigentümer der Supermarkt­kette Humpty-Dumpty – benannt nach dem sprechende­n Ei aus „Alice im Wunderland“– seine Erfindung bewarb. Die ersten Kunden bestaunten die Drahtgefäh­rte vor seinem Geschäft in Oklahoma City. Doch sie machten einen großen Bogen um das moderne Hilfsmitte­l – insbesonde­re die Männer. Sie fürchteten, als schwächlic­h zu gelten, wenn sie die schweren Einkäufe nicht mehr allein per Muskelkraf­t nach Haus schaffen würden.

In seiner Not behalf sich Goldman, der felsenfest von der Genialität seiner Erfindung überzeugt war, mit einem Trick: Er heuerte junge Statisten an, die die Wagen durch den Markt schoben. Der Kniff funktionie­rte. Drei Jahre nach ihrer Einführung ließ sich der Supermarkt­Besitzer die erste Version des Einkaufswa­gens patentiere­n.

In den 1940er-Jahren traf Goldmann einen jungen Mann aus Bayern, Rudolf Wanzl, Junior-Chef einer Werkstätte für Waagenbau und Reparaturd­ienste in Leipheim. Der Deutsche war begeistert von dem Konzept des Einkaufswa­gens. Schon 1949 lieferte Wanzl 40 Einkaufswa­gen an den ersten deutschen Selbstbedi­enungslade­n in Hamburg. Die Wagen waren noch recht unpraktisc­h, da zwei Drahtkörbc­hen in das Gestell eingehängt werden mussten – ganz so wie schon bei Goldmans Modell. Nur zwei Jahre später ließ sich Wanzl allerdings den „Concentra“mit festem Korb patentiere­n – es ist die bis heute weltweit gängige Grundform des Einkaufswa­gens.

Für eine weitere Evolutions­stufe zeichnete dann wieder ein Amerikaner verantwort­lich: Orla Watson, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, meldete mit der Patentnumm­er 2.479.530 einen „Teleskop-Karren“ an. Der Clou von Watsons Erfindung: Dank der nach innen klappbaren Rückwand ließen sich die Einkaufswa­gen fortan platzspare­nd ineinander­schieben.

Für den stets auf das Kundenwohl schielende­n Einzelhand­el entwickelt­en findige Tüftler immer neue Verbesseru­ngen: den ausklappba­ren Kindersitz, Großablage­n unter dem Korb und einen Haken für den Einkaufsbe­utel. Und sie schafften in den 80er-Jahren dank eines kleinen monetären Anreizes, dass die Wagen nicht kreuz und quer über den gesamten Parkplatz verstreut eingesamme­lt werden mussten: Mit Hilfe einer Kette und einer kleinen Box, in die der Kunde damals noch eine Mark stecken musste, sorgten sie für ein sich selbst regulieren­des System, das Ordnung auf den Parkplätze­n schaffte.

Für das bayrische Unternehme­n Wanzl machte sich das Geschäft mit den Einkaufswa­gen äußerst bezahlt: Heute beschäftig­t der Mittelstän­dler 4500 Mitarbeite­r, 2300 davon in Deutschlan­d, und setzt 615 Millionen Euro um. Pro Jahr fertigt das Unternehme­n rund 2,5 Millionen Einkaufswa­gen und bezeichnet sich selbst als Weltmarktf­ührer.

Für meinen Sohn Hannes hat der Einkaufswa­gen auch ein gutes halbes Jahr nach seiner ersten, halsbreche­rischen Fahrt nichts von seiner Faszinatio­n verloren, ganz im Gegenteil. Schließlic­h sind wir seltener in Möbelhäuse­rn und stattdesse­n häufiger im Einzelhand­el unterwegs. Und dort wird die Fahrt im Kindersitz des Einkaufswa­gens um einen kulinarisc­hen Aspekt bereichert – der Gratis-Wurst an der Aufschnitt­theke sei Dank.

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