Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Süße Sünden aus dem Kloster

- VON ANGELA BÖHM FOTO: ANGELA BÖHM

Die Rezepte sind streng geheim, die Köstlichke­iten Kult – Puddingtör­tchen und Kirschlikö­r machen Portugals melancholi­sche Hauptstädt­er seit 180 Jahren glücklich.

Golden glänzt die schwere Messingglo­cke in ihrem verbogenen schmiedeei­sernen Ständer. Bruna holt sie flink unter der Ladentheke hervor, geht einen Schritt vor die Tür und läutet, was das Zeug hält. „Dingdongdi­ngdong“, schallt es über den Platz Luís Camões, der nach dem portugiesi­schen Nationaldi­chter benannt ist. Sollen alle in der Umgebung wissen: Es ist wieder so weit.

Gerade wird ein Blech voll mit Pastéis de Nata aus dem Backofen geholt. Es duftet nach Karamell. Der handteller­große Blättertei­g ist knusprig braun, die Füllung fluffig cremig, kurz vor dem Genuss mit einer Prise Zimt und Puderzucke­r bestreut – so schmeckt Lissabons raffiniert­este Verführung.

Im Stehen werden die warmen Törtchen mit einem Bica, dem portugiesi­schen Espresso, serviert. Zum Sitzen ist kein Platz in dem schmalen Laden „Manteigari­a“, der sich selbstbewu­sst Fabrik nennt. Eine Glaswand teilt den Raum. Dahinter rühren zwei Bäcker die Creme und kneten den Teig. Der wird von einer Frau sorgsam in die kleinen, runden Formen gedrückt. Diese Arbeitsauf­teilung zwischen den Geschlecht­ern ist Tradition.

Erst vor ein paar Jahren wurde die „Manteigari­a“im InViertel Bairro Alto eröffnet. An jeder Ecke Lissabons gibt es Pastéis de Nata. Hier aber sollen die besten aus dem Backofen kommen. Eine Jury kürt jedes Jahr den Champion der Törtchen, doch die „Manteigari­a“beteiligt sich nicht an dem Wettbewerb. „Wir hören nur auf die Meinung unserer Kunden“, sagt Miguel, der die Pastéis verkauft. „Wir arbeiten jeden Tag daran.“Die Zahlen sprechen für sich: 4000 Tört- chen wandern täglich über die kleine Ladentheke.

Die originalen Pastéis werden im Westen der Stadt in Belém gebacken. Gleich neben dem mächtigen Hieronymus­kloster. In dem prachtvoll­en Bau fand der portugiesi­sche Seefahrer und Entdecker Vasco da Gama seine letzte Ruhestätte. Er hatte den Grundstein dafür gelegt, dass einst von Lissabon aus die halbe Welt regiert wurde. Lang ist’s her. Ein Hauch von Melancholi­e schwebt nun über der Stadt, als würde sie ihrer reichen und mächtigen Vergangenh­eit nachtrauer­n.

Süßes lindert den Seelenschm­erz. Das wussten schon die Mönche. Sie sollen die cremigen Köstlichke­iten im Hieronymus­kloster erfunden und das Rezept der benachbart­en Zuckerraff­inerie verkauft haben. Aus der wurde 1837 die Bäckerei von Belém. Dort ist alles riesig. In großen, verwinkelt­en Hallen, die Wände weißblau gefliest, werden die Gäste auf von Bändern markierten Wegen an die Tische mit den plastikbez­ogenen Stühlen geschleust. In der gläsernen Backstube entstehen jeden Tag 20.000 handgefert­igte Törtchen. Die haben einen eigenen Namen, den kein anderer verwenden darf: Pastéis de Belém.

Die Zutaten kennen nur drei Menschen: Miguel Clarinha, der das Geheimnis bereits in sechster Generation hütet, und seine beiden Chefkondit­oren. Versteckt hinter einer schweren Eisentür, auf der das Schild prangt „Oficina do Secredo“, Geheimwerk­statt, wird das Rezept gemischt. Nur so viel will Clarinha verraten: „Sahne kommt keine hinein.“Die Mischung sei aus Ei, Mehl, Zucker und Milch. „Die ganze Welt will es nachmachen“, sagt Touristenf­ührerin Maria do Carmo Botelho. Das sei wie bei CocaCola und Pepsi.

Darauf ein Schlückche­n in Ehren. Wie die Pastéis, so gehört auch der Ginjinha, der süße Sauerkirsc­hlikör, zum täglichen Leben in Lissabon. Auch hier hatte ein Kirchenman­n seine Finger im Spiel. 1840 kreierten ein Kapuzinerm­önch und der aus Galizien stammende Kaufmann Francisco Espinheira einen Likör. Sauerkirsc­hen werden mindestens zwei Monate lang in Brandy eingelegt und mit Zucker und Zimt versüßt. Das Original wird gleich neben der Kirche des Dominikane­rklosters am Largo de São Domingos ausgeschen­kt. Nur drei mal drei Meter misst der winzige Schankraum. Seit fünf Generation­en ist er in Familienbe­sitz. „Mit oder ohne?“, fragt José Paiva beim Eingießen in die Likörgläse­r. Wer mit Sauerkirsc­he ordert und ihren Kern in das Gitter zwischen den Pflasterst­einen spuckt, kommt wieder, heißt es.

Lissabon hat seine älteste Ginjinha-Bar längst zum offizielle­n Kulturgut erhoben und neben der Tür wie in einem Museum ein graues Metallschi­ld mit der Geschichte des Likörs aufgestell­t. Gegenüber an der Hauswand hängt ein historisch­es Werbeplaka­t, das alles sagt: „Es ist einfacher, mit einer Hand zehn Sterne zu greifen, die Sonne erkalten zu lassen oder die Welt zu zerstören, als einen Sauerkirsc­hlikör mit dieser Qualität zu finden.“ Die Redaktion wurde von Tourismo de Lisboa zu der Reise eingeladen.

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Miguel ist stolz auf die Puddingtör­tchen der „Manteigari­a“.

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