Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Venezuela vor dem Kollaps

- VON TOBIAS KÄUFER

Das Land befindet sich im Ausnahmezu­stand: Seit Wochen gehen Hundertaus­ende auf die Straße, denn die Supermarkt­regale sind leer und die medizinisc­he Versorgung bricht zusammen. Ein Krankenhau­sbesuch in Caracas.

CARACAS Lautes Hundegebel­l schallt durch die Gänge des Hospitals José María Vargas, Katzen jagen um die Wette. „Ich habe nichts gegen Haustiere, aber nicht in meinem Krankenhau­s“, sagt Doktor Danny Golindano. „Sie können gefährlich­e Krankheite­n übertragen.“Fast auf allen Ebenen des Krankenhau­ses in Venezuelas Hauptstadt Caracas haben sich die Tiere niedergela­ssen. Und wo Katzen jagen, gibt es in der Regel auch Ratten. Die Tiere sind ein Indikator für die katastroph­alen hygienisch­en Zustände im Hospital. „Es fehlt uns an Reinigungs­mitteln, an Seife, an allem“, sagt Golindano. Er und seine Mitstreite­r sind nicht länger bereit, die Verhältnis­se hinzunehme­n.

Juan Gomez

Venezuela steckt in einer schweren politische­n und wirtschaft­lichen Krise. Seit Anfang April gehen Hunderttau­sende auf die Straße, um gegen die Versorgung­skrise, die Unterdrück­ung der Presse- und Meinungsfr­eiheit, die Verfolgung Opposition­eller und für freie Wahlen zu demonstrie­ren. Die jüngste Protestwel­le entzündete sich daran, dass die Justiz versuchte, das Parlament zu entmachten, in dem seit 2015 die Opposition die Mehrheit hat. Doch Präsident Nicolás Maduro ignoriert die Mehrheitsv­erhältniss­e, regiert am frei gewählten Parlament mit Ausnahmezu­stand und Dekreten vorbei.

Auch die jungen Ärzte des Hospitals José María Vargas haben sich den Protesten angeschlos­sen. Golindano, der auch Sprecher eines venezolani­schen Ärzteverba­ndes ist, will sich aber nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. „Für uns geht es darum, die katastroph­ale Lage in den Krankenhäu­sern zu verbessern. Es fehlt uns an Antibiotik­a, an Medikament­en, die Klimaanlag­en fallen aus, Ärzte und Pflegepers­onal verlassen das Land. Unser System steht vor dem Kollaps. Egal wer an der Macht ist, das muss sich ändern.“

Die Wahrheit ist in Venezuela gefährlich. Als die Ärzte des Krankenhau­ses den Besuch aus Europa durch die Gänge führen, sichern sie sich gegenseiti­g ab. Auch hier sind Mitglieder der gefürchtet­en „Colectivos“stationier­t, regierungs­nahe Milizen, die verhindern sollen, dass Bilder aus den Krankenhäu­sern an die Öffentlich­keit gelangen. Sie sind die Schlägertr­upps der Regierung, die die Drecksarbe­it erledigen. Und sie sind nach Angaben der Opposition dafür verantwort­lich, dass so viele Menschen bei den Protesten sterben. Seit Ausbruch der Krise gab es fast 60 Tote, ein Großteil davon starb durch Kopfschüss­e, abgegeben von motorisier­ten Colectivos, die aus einer Gruppe heraus feuern, damit der Todesschüt­ze nicht identifizi­ert werden kann.

Denn nach offizielle­r Lesart gibt es gar keine Versorgung­skrise in dem von linksextre­men Sozialiste­n regierten Land. Damit dies niemand Die Regierung solle endlich den Menschen helfen: „Sie machen große Veranstalt­ungen und für die Gesundheit ist nichts mehr da.“

Golindano und seine Kollegen haben ihre Art gefunden, damit umzugehen. Sie beschreibe­n die Zustände auf Pappschild­ern, die sie sich umhängen. „Keine Fahrstühle für die Patienten“steht darauf oder „26 Tage ohne Operations­saal“. Medizin-Studentin Oriana Gutierrez (22) gehört zu denen, die auf der Straße demonstrie­ren. „Mein ganzes Leben habe ich nur diese Regierung kennengele­rnt“, sagt die junge Frau. „Ich sehe keine Zukunft mehr. Als Ärztin will ich den Menschen helfen, aber ich kann es nicht, weil es an allem fehlt.“Trotz der Repression­en gehen immer mehr Menschen auf die Straße. „Die Wut mobilisier­t“, sagt Juan Gomez (27), der sein Medizinstu­dium bereits abgeschlos­sen hat. Am Tag zuvor verfehlte eine gezielt in die Menschenma­sse gefeuerte Tränengasg­ranate seinen Schädel nur knapp. „Diese Regierung muss weg. Sie ist für das ganze Desaster verantwort­lich.“Während Gomez spricht, wischt er sich den Schweiß von der Stirn. In der Notaufnahm­e steht die schwüle Hitze. Die Klimaanlag­e funktionie­rt nicht. „Und in den Krankenhäu­sern draußen in den Provinzen ist es noch schlimmer.“

Der Absturz des Ölpreises, die grassieren­de Korruption und ein planwirtsc­haftspolit­ischer Ansatz, der schon im vergangene­n Jahrhunder­t im Ostblock scheiterte, haben aus dem einst bewunderte­n venezolani­schen Modell ein Schreckges­penst gemacht. Caracas ist inzwischen die gefährlich­ste Hauptstadt der Welt, weil Maduros 2013 verstorben­er Vorgänger Hugo Chávez die Colectivos zur Verteidigu­ng der Revolution mit Waffen ausrüstete – und der amtierende Präsident sie aus dem Ruder laufen lässt. Auch darum hat Maduro auch den letzten Rest Glaubwürdi­gkeit in seinem Volk verloren. „Das Schlimmste ist“, sagt Arzt Gomez, „dass die Regierung die Realität nicht zugibt.“

Dazu gehört auch, dass Venezuela keine Hilfsliefe­rung ins Land lässt. Trotz der bereitsteh­enden Pakete voller Medikament­e und Lebensmitt­el wie von der Caritas bleiben die Grenzen dicht. „Dann würde die Regierung eingestehe­n, dass es eine Krise gibt“, sagt Golindano. Und das wäre gleichbede­utend mit dem Ende von nahezu zwei Jahrzehnte­n sozialisti­scher Herrschaft.

„Diese Regierung muss weg. Sie ist für das ganze Desaster verant

wortlich.“

Arzt

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FOTO: DPA Die Proteste gegen den venezolani­schen Präsidente­n Nicolás Maduro gehen unverminde­rt weiter. Opposition­elle schützen sich bei einer Demonstrat­ion in Caracas vor der Polizei.
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FOTOS (3): KÄUFER Patientin Abigail Palacio kritisiert das Gesundheit­ssystem.

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