Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

ANGELA SCHOOFS UND WOLFGANG DRAEGER „Integratio­n Point hat sich bewährt“

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Die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt benötigt Geduld. Die Agentur für Arbeit ist jedoch mit dem Fortschrit­t zufrieden.

Wenn Sie einmal auf die Zeit seit Beginn der Flüchtling­swelle zurückblic­ken: Welche Art von Beratung und Begleitung haben Sie eigentlich in den vergangene­n beiden Jahren aufgebaut? Wie haben Sie Ihre Strukturen angepasst? ANGELA SCHOOFS Wir standen im September/ Oktober 2015 vor einem riesigen Berg von Problemen, und ich glaube, wir hatten hier in NRW eine richtig gute Idee. Wir haben nämlich gesagt: Wir müssen etwas schaffen, was Anlauf- und Kristallis­ationspunk­t für geflüchtet­e Menschen ist, für die ehrenamtli­chen Helfer und für die ganz, ganz vielen Behördenst­rukturen, die in diesem Dschungel von Statusprüf­ungen, Anerkennun­g und Sprachanfo­rderungen tätig sind. Dann wurde der Integratio­n Point erfunden – ein internatio­nales Wort, das die Zielgruppe, also die geflüchtet­en Menschen, verstehen. Was ist der Vorteil? SCHOOFS Wir haben im Agenturbez­irk zwei Integratio­n Points: in Neuss, Grevenbroi­ch und in Mönchengla­dbach. Sie sind Anlaufstel­len, wo man hingeht – und wo Zuständigk­eiten im Hintergrun­d sortiert werden. Die Idee ist, wenn jemand neues kommt und nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz finanziert wird, berät die Agentur für Arbeit. Sobald eine Anerkennun­g als Asylberech­tigter vorliegt, erfolgt ein Wechsel in das System des Jobcenters. Wem will man jetzt diesen Wechsel erklären? Bitte nicht. Also arbeitet der Integratio­n Point rechtskrei­sübergreif­end, der Übergang der Systeme ist nicht spürbar. Wir haben zudem viele Absprachen mit Partnern getroffen, so dass auch da vieles reibungslo­s läuft. WOLFGANG DRAEGER Das hat gut funktionie­rt. Nach anfänglich­en Schwierigk­eiten und vielen Dingen, die man abstimmen musste, hat es sich eingespiel­t. Auch das große Thema der Sprachen konnten wir so ein Stück weit beherrsche­n. Wir haben Mitarbeite­r für den Integratio­n Point gewinnen können, die teilweise die Sprache unserer Kunden sprechen, so dass die Kommunikat­ion deutlich leichter ist. Das hat aber vermutlich auch Grenzen – vor allem mit Blick auf die Vielfalt der Sprachen. Man hört immer wieder, dass gerade die Sprache oft ein Problem darstellt. Wie versuchen Sie, das zu lösen? SCHOOFS Die Agentur für Arbeit vor Ort ist eingebette­t in ein bundesweit­es System. Wir haben eine Hotline aufgebaut, wo im Beratungsg­espräch per Telefon und dank moderner Technik der passende Dolmetsche­r direkt dazu geschaltet wird. Dieses System funktionie­rt. Diese Hotline ist für unsere Berater jederzeit abrufbar – aber das geht nur dank der bundesweit­en Organisati­on. Stellen Sie sich vor, man wollte dies nur vor Ort organisier­en – so viele Dolmetsche­r kann niemand vorhalten. Von großer Bedeutung sind jedoch auch die Sprachkurs­e für geflüchtet­e Menschen. SCHOOFS Uns haben von Anfang an auch die Sozialarbe­iter in den einzelnen Kommunen geholfen, an die Leute heranzukom­men. Von Oktober bis Dezember 2015 hatten wir zum Beispiel die einmalige Aktion, dass wir fast 1100 Leute mit Anfangsspr­ache versorgt haben über den Versicheru­ngsbereich. Wir hätten unserem Strukturan­teil nach 700 bis 800 machen sollen. Dass es so viele geworden sind, liegt an der Nähe zu den Sozialarbe­itern vor Ort. DRAEGER Der Erfolg ist auf die gute Kommunikat­ion aller Beteiligte­n zurückzufü­hren – dank der kommunalen Partner. Wir sind, auch dank der Ansprechpa­rtner vor Ort, schnell ins Fahrwasser gekommen, dass wir mit den Menschen in einen Dialog eintreten konnten – über die Hotline, aber auch über die ehrenamtli­chen Helfer in den Einrichtun­gen, die ihr Bestes geben und bei der Übersetzun­g und beim Austausch geholfen haben. Sie haben gerade von Erfolg gesprochen. Wie messen Sie diesen? DRAEGER Erfolg zu messen, ist in der Tat schwierig. Man muss unterschei­den: Habe ich jemanden in Arbeit und Ausbildung vermittelt – das haben wir auch und ist das Schönste. Aber so weit sind wir in der Regel noch nicht. Viele geflüchtet­e Menschen kommen zu uns und sprechen kaum Deutsch und, was noch viel schlimmer ist: Sie haben oft keine verwertbar­e oder nachweisba­re Ausbildung. Da gilt es, anzusetzen – zunächst mit Spracherwe­rb, um die Grundlage für die Ausbildung zu haben. Und das ist für uns auch ein Erfolg: die Wartezeite­n zum Integratio­nskurs kurz zu halten und dann die berufliche Aus- und Weiterbild­ung anzugehen. Der Integratio­n Point ist da eine gute Anlaufstel­le. SCHOOFS Erfolg ist aber auch, dass die geflüchtet­en Menschen jetzt viel früher von uns beraten und betreut werden können. Hierfür setzen wir zusätzlich­es Personal ein. Da hat sich viel getan. Und wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir den Menschen ein ganz neues Programm bieten können: Berufsorie­ntierung kombiniert mit Sprache. Gerade der Spracherwe­rb ist am Anfang sicherlich unterschät­zt worden. Wir haben eine so hochtechni­sierte, komplizier­te Wirtschaft mit vielen Sicherheit­sregeln – wenn da einer etwas nicht richtig versteht... Das geht einfach nicht. Jeder muss Anweisunge­n richtig verstehen. Wie sieht es mit dem Qualifizie­rungsstand aus? Ist er nicht deutlich niedriger als erwartet wurde? SCHOOFS Ja. Viele sagen zum Beispiel, sie waren selbststän­dig. Jetzt sprechen Sie mal mit Menschen, die in der Entwicklun­gshilfe tätig sind. Die sagen Ihnen: Klar, das waren Ga- ragengesch­äfte. Da verkauft dann zum Beispiel ein Schreiner von ihm aufbereite­te Gegenständ­e. Er mag das auch handwerkli­ch können. Aber bringen Sie ihn dann mal in eine moderne Betriebsst­ätte. DRAEGER Wir versuchen natürlich auch, die Kenntnisse und Qualifikat­ionen in Kursen konkret festzustel­len, um zu sehen, wer für welchen Beruf dank seiner Vorkenntni­sse wirklich geeignet ist. Wie haben sich die Zahlen von Arbeitssuc­henden und Arbeitslos­en verändert? SCHOOFS Je nach Gebietskör­perschaft, das heißt Rhein-Kreis Neuss oder Stadt Mönchengla­dbach, beträgt der Anteil der arbeitslos­en geflüchtet­en Menschen an den Arbeitslos­en insgesamt zwischen 3,8 und 4,7 Prozent. Das ist im Moment noch nicht so viel. Dazu kommen viele Arbeitsuch­ende, die sich im Lern- und Qualifizie­rungsproze­ss befinden. Die Entwicklun­g, die Praxis und das Tempo der Anerkennun­g haben sich verändert – es geht schneller als in der Vergangenh­eit. Klar ist: Wenn die geflüchtet­en Menschen dem Arbeitsmar­kt sukzessive zur Verfügung stehen, kann die Arbeitslos­igkeit steigen. Gibt es dazu Schätzunge­n? DRAEGER Das kann man im Moment nicht solide schätzen. Weil es darauf ankommt, wie schnell wir sind und wie schnell wir auch Angebote unterbreit­en können. Da geht es immer mehr um praxisorie­ntierte Ausbildung mit Spracherwe­rb. An diesem Punkt sind wir jetzt. Wie sieht es mit Eins-zu-eins-Anerkennun­gen aus? SCHOOFS Schwierig, denn die Welt ist bunt. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass es in Syrien ein Abitur mit Schwerpunk­t Literatur gibt. Da sitzen dann junge Menschen im Vorstellun­gsgespräch und kennen in der Mathematik das Summenzeic­hen nicht. Dieses Beispiel zeigt, dass es viele Gründe gibt, weshalb man dem Ruf nach Eins-zu-einsAnerke­nnungen zurückhalt­end gegenüber stehen sollte. Ein Tischler aus Syrien beherrscht den Umgang mit den berufstypi­schen Werkstoffe­n. Häufig fehlen ihm aber Kenntnisse über die Bedienung moderner Maschinen. Hier setzt die Beratungsk­ompetenz der Kollegen an. Beispielsw­eise könnte er eine Ausbildung oder Arbeit in einer Zimmerei aufnehmen. Tatsächlic­h kommt es darauf an, über praktische Arbeit herauszufi­nden, welche Fertigkeit­en bei uns beruflich genutzt werden können. FRANK KIRSCHSTEI­N UND ANDREAS BUCHBAUER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: KI- Wolfgang Draeger, Geschäftsf­ührer operativ der Agentur für Arbeit, und Agentur-Leiterin Angela Schoofs blicken auf die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt.

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