Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zu Besuch in Peter Handkes Haus

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Dokumentar­film „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“kommt dem Dichter sehr nahe. Nun gibt es ihn auf DVD.

Als normaler Arbeitnehm­er ist man auf Optimierun­g gepolt, auf das rasche Verrichten mehr oder weniger nützlicher Leistungen. Peter Handke gehört nicht zu diesem Heer der von Effizienzb­estrebunge­n gestresste­n Zeitgenoss­en, und das sieht man am besten in jener Szene, die bestimmt fünf Minuten dauert und sich so lang anfühlt, dass man schreien möchte. Der Dichter sitzt in seinem Lieblingss­essel, er versucht, einen Faden in das winzige

Man sieht dem Dichter beimBleist­ift-Anspitzen zu. Und beim Auslegen von Muscheln im Garten

Loch einer Nähnadel zu bringen, aber er scheitert. Er versucht es immer wieder, „der Faden will nicht“, meint man Handke murmeln zu hören, und dann schneidet er den Faden zurecht und probiert weiter, und als er es endlich geschafft hat, ist man schweißgeb­adet.

„Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“heißt der schöne Dokumentar­film von Corinna Belz, dem man es zu verdanken hat, dass man nun weiß, wie es bei Handke daheim aussieht. Und ein bisschen auch, wie es hinter seiner Stirn zugeht. Der 74-Jährige lebt in einem Haus auf dem Land bei Paris, und dieses Haus ist, wie Thomas Oberender in seinem Interviewb­and über Handke schrieb, weniger eine Behausung als ein Ort der guten Geister und Erinnerung­sstücke. Den Räumen fehlt alles Repräsenta­tive, sie wirken vielmehr wie eine Installati­on. Auf Tischen, Stühlen und auf dem Boden gibt es flüchtige Ansammlung­en von Federn, Nussschale­n, getrocknet­en Blütenblät­tern und Büchern. Es wirkt, als werde Paul Cézanne zum Kaffee erwartet und sichergest­ellt, dass der auch etwas zum Abmalen hat, sollte ihm denn mal langweilig sein.

Belz hat Erfahrung mit verschloss­enen Künstlerpe­rsönlichke­iten, von ihr stammt auch das Porträt „Gerhard Richter Painting“aus dem Jahr 2011. Und obwohl man bisweilen fürchtet, dass Handke die Regisseuri­n gleich hinauswirf­t, setzt sie stets nach und gewinnt Einblicke in sein Wesen. Er habe irgendwann be- schlossen, dass alles fremd und neu ist und unerzählt, sagt er. Man sieht Handke beim Befühlen und Betasten seiner Worte zu, er schmeckt jedem Begriff nach und hat dabei etwas Naives. Er ist gleichsam die dritte Person seiner selbst.

Belz schwelgt in Naturbilde­rn, sehr schön ist der Blick aus den Fenstern des Hauses in die Natur. Manchmal lässt sie Schrift über die Bilder laufen, Fragmente aus Handkes Werken und Notizbüche­rn. „Das Ich empfand ich heute Abend als eine unzuverläs­sige Maschine zum Ingangsetz­en der Welt“, schreibt Handke da, und man spürt, wie man allmählich in der Welt dieses Künstlers versinkt, eine entschleun­igte Welt, die jener Adalbert Stifters ähnelt. Eine Welt, in der die Kleinigkei­ten zur Fülle beitragen und für Heiterkeit sorgen.

„Noch nie in meinem Leben habe ich vorm Computer gesessen“, sagt er, das erotisiere ihn einfach nicht. Handke sitzt lieber barfuß vor seinem Haus und spitzt Bleistifte an. Er setzt Muscheln zur Begrenzung an die Ränder eines Fußweges. Er feiert das Unscheinba­re und zelebriert das Nebensächl­iche. „Leider bin ich nicht mehr so frech, wie ich gerne wäre“, sagt er. Wenn er in die Messe gehe, bete er dafür, weniger scheu zu sein.

Man ist sich nicht sicher, wie viel von dem, was Handke anbietet, Koketterie ist. Man darf sich nicht täuschen lassen, bei aller vorgeblich­en Langsamkei­t haben wir es mit einem ungeheuer produktive­n Dichter zu tun – sein neuer, im November erwarteter Roman „Die Obstdiebin“wird wieder mehr als 600 Seiten haben. „Unter der Eisschicht schnittwei­se in der Inszenieru­ng von Claus Peymann. „Ihr Mitmensche­n, ihr!“, schleudern die Schauspiel­er den irritierte­n, perlenbehä­ngten Zuschauern entgegen.

Vielleicht kann man sich darauf einigen: Handke glaubt an das Rettende der Erzählung. Er schenkt dem Leser Momente des Durchatmen­s. Seine Lehre hat er formuliert in dem Stück „Über die Dörfer“: „Beweg dich in Eigenfarbe­n, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird.“ Peter Handke: Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte,

 ?? FOTO: VERLEIH ?? Meister der Entschleun­igung: Der 74 Jahre alte Peter Handke, der festes Schuhwerk liebt, beim Schmökern in eigenen Werken.
FOTO: VERLEIH Meister der Entschleun­igung: Der 74 Jahre alte Peter Handke, der festes Schuhwerk liebt, beim Schmökern in eigenen Werken.
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