Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Dieser Schuster bleibt bei seinen Leisten

- VON ALEXANDRA WEHRMANN RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

Ingo Bornkessel arbeitet seit fast 40 Jahren an der Heyestraße in Gerresheim. In seinem Geschäft hat sich seitdem fast nichts verändert.

GERRESHEIM Wenn der Kalender mit dem Cowboystie­fel-Motiv nicht wäre, würde nichts auf das Jahr 2017 hinweisen. Der Aufkleber „Bama stoppt den Fußgeruch“nicht. Die alten Meisterbri­efe, Urkunden und Schwarz-Weiß-Fotos nicht. Und das verstaubte Wandtelefo­n aus Bakelit schon gar nicht. Der Apparat mit der Wählscheib­e sieht aus, als hätte er in einem Hitchcock-Film Dienst getan. In Gedanken hört man ihn schrill klingeln. In Wirklichke­it klingelt hier nichts mehr. 2010 hat Bornkessel den historisch­en Fernsprech­er abgemeldet. Zu viele Anrufe, die ihn von seiner Arbeit abhielten. Seitdem hat der 54-Jährige nur noch ein Handy – und kann sich in Ruhe Stiefeln, Slippern und Pumps widmen. Ursprüngli­ch war sein Berufswuns­ch ein ganz anderer: „Ich wollte zur Polizei oder zum Bundesgren­zschutz.“Als das nichts wurde, bot ihm sein Vater Otto an, eine Lehre bei ihm in der Schuhmache­rei zu absolviere­n: „Du wirst mit den Kunden groß, die Kunden werden mit dir groß. Und später bist du dein eigener Herr.“1978 begann Bornkessel die dreijährig­e Ausbildung. „Schon damals gab es in ganz Düsseldorf nur drei Schuhmache­rLehrlinge“, erinnert er sich. Heute ist der Beruf auf dem besten Wege auszusterb­en.

Bornkessel kommt aus einer Familie von Schuhmache­rn. Sein Großvater war schon Schuhmache­r, Vater Otto ebenso. Letzterer eröffnete 1963 das Geschäft an der Heyestraße. Direkt gegenüber war damals die Verwaltung der nahen Glashütte untergebra­cht, ein paar Häuser weiter die Glashütten-Kan- tine. Die Arbeiter brachten mittags auf dem Weg zum Essen schnell ihre Schuhe zum Schuster und holten sie am Folgetag wieder ab. „Zu Glanzzeite­n haben in der Hütte 7000 Leute gearbeitet“, erinnert sich Bornkessel. Der erste Umsatzeinb­ruch für den Schuster kam, als die Kantine auf das Glashütten­gelände verlegt wurde. Mittlerwei­le ist die Hütte geschlosse­n. Auf dem Areal wird in den kommenden Jahren das Glasmacher­viertel entstehen. Während das „untere“Gerresheim ein neues Gesicht bekommt, wird bei Ingo Bornkessel alles bleiben, wie es ist und immer war. Manch einen mag das beruhigen.

Im Schaufenst­er hat Bornkessel eine kleine Ausstellun­g historisch­er Schuhe arrangiert. Viele davon hat sein Vater noch selbst gemacht. Einige haben ihm Kunden überlassen. Die braunen handgefert­igten Fuß- ballschuhe aus den 1930er Jahren zum Beispiel. Oder die Springschu­he, unter deren Sohle eine Sprungfede­r angebracht ist. Besonders Kinder seien davon fasziniert, kämen öfter in den Laden, um nach dem Preis zu fragen. Wie alle anderen Museumsstü­cke sind aber auch die Springschu­he unverkäufl­ich. Bornkessel­s Kundschaft besteht heute zu zwei Dritteln aus Frauen. „Frauen haben mehr Schuhe“, so seine Er- fahrung. Neue Absätze lautet der häufigste Auftrag. Kostenpunk­t: ab sechs Euro. Bornkessel repariert aber auch Taschen, Rucksäcke oder Gürtel. Eben alles, was er auf die Nähmaschin­e bekommt. In seiner Werkstatt finden sich Ersatzteil­e aller Art: Auf Regalen lagern Absätze unterschie­dlicher Größe, an der Wand hängen Einlegesoh­len, Schnürsenk­el und Schuhanzie­her. Auf dem Tisch im Werkstattb­ereich steht ein Topf mit Universalk­leber, an dem lange Klebefäden ein dichtes Netz gesponnen haben.

Bornkessel selbst trägt zu Jeans und Karohemd schwarze Slipper. „Ich hasse Schnürschu­he“, sagt der Schuhmache­r. Auch Turnschuhe kämen ihm nicht in die Tüte. Er beschränkt sich auf Slipper oder Stiefel. Fünf, sechs Paar besitze er vielleicht, ganz genau weiß er es nicht. Viel Zeit könne er ohnehin nicht fürs Schuhekauf­en erübrigen. „Ich habe ja nur den Mittwoch, und den möchte ich nicht im Schuhgesch­äft verbringen.“Mittwochs ist sein Geschäft ganztags geschlosse­n. Das war schon immer so. Tradition.

Seinen Beruf hat Bornkessel im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt. Natürlich gebe es Tage, an denen er keine Lust habe. An denen die Kunden einfach nicht verstehen wollen, dass eine Reparatur sich nicht mehr lohnt. Aber grundsätzl­ich macht er seine Arbeit gerne. Wenn kein Lottogewin­n dazwischen kommt, stehen die Chancen also gut, dass die Kunden an der Heyestraße auch in der nächsten Dekade noch Schuhe reparieren lassen können.

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Schuhmache­r Ingo Bornkessel sitzt in seinem Geschäft an der Heyestraße, das er von seinem Vater übernommen hat.

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