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Armutsrisi­ko im Alter nimmt stark zu

- VON BIRGIT MARSCHALL

Jeder fünfte Neu-Rentner könnte nach einer Bertelsman­n-Studie im Jahr 2036 unter die Armutsschw­elle fallen. Vor allem alleinsteh­ende Frauen sind betroffen. Die Studienaut­oren fordern mehr Hilfen für bestimmte Risikogrup­pen.

BERLIN Jeder fünfte Neu-Rentner könnte in rund 20 Jahren von Armut bedroht sein. Davor warnt eine aktuelle Studie, die die Wirtschaft­sforschung­sinstitute DIW und ZEW im Auftrag der Bertelsman­n Stiftung geschriebe­n haben. Demnach steigt in den Jahren bis 2036 das Risiko, im Alter arm zu sein, von heute 16 auf 20 Prozent der über 67-Jährigen. Besonders betroffen davon seien alleinsteh­ende Frauen, Menschen ohne Berufsausb­ildung und Langzeitar­beitslose. Als armutsgefä­hrdet gelten Rentner mit einem monatliche­n Nettoeinko­mmen von unter 968 Euro. Auch der Anteil derer, die von der staatliche­n Grundsiche­rung im Alter abhängig sein werden, steigt laut der Studie von derzeit fünf auf sieben Prozent bis 2036.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin und das Mannheimer Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) stützen sich bei ihren Simulation­srechnunge­n auf repräsenta­tive Haushaltsd­aten des sozio-oekonomisc­hen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine repräsenta­tive Wiederholu­ngsbefragu­ng von etwa 30.000 Bürgern in fast 12.000 Haushalten. Die Bertelsman­n-Studie liefert erstmals Erkenntnis­se darüber, wie groß das Altersarmu­tsrisiko der geburtenst­arken Jahrgänge der Babyboomer-Generation sein könnte, die von 2022 an in Rente gehen.

Den wichtigste­n Grund für das steigende Armutsrisi­ko im Alter sehen die Studienaut­oren darin, dass die Zahl der unterbroch­enen Erwerbsbio­grafien zugenommen hat. Wer armutsbedr­oht ist, hatte in seinem Arbeitsleb­en oftmals Phasen, in denen nichts oder nur wenig in die Rentenvers­icherung eingezahlt wurde. Auch der Anteil derer am unteren Ende der Einkommens­skala ist seit den 1990-er Jahren größer geworden. Zudem nimmt das Rentennive­au, die Höhe der gesetzlich­en Rente im Verhältnis zum

35,9 % 20,3 16,6

36,6 21,0 20,3 12,7 Durchschni­ttseinkomm­en, ab – während wegen der anhaltende­n Niedrigzin­sphase der Beitrag der privaten Altersvors­orge unter den früheren Erwartunge­n bleibt.

Der Anstieg der Altersarmu­t falle insgesamt moderat aus, betreffe aber bestimmte Risikogrup­pen besonders hart. So würden in Ostdeutsch­land zwischen 2031 und

52,0 20,3 16,8 2036 mit elf Prozent aller Neu-Rentner mehr als doppelt so viele in die Grundsiche­rung fallen wie im Westen. Der Anteil alleinsteh­ender Frauen, die Anspruch auf Grundsiche­rung im Alter hätten, werde stark steigen – von aktuell 16 auf 28 Prozent. Stark von Altersarmu­t betroffen seien auch Selbststän­dige, denn nur 38 Prozent der 45- bis 64- jährigen Solo-Selbststän­digen zahlten in die Rentenvers­icherung ein.

Die Autoren machen deutlich, dass ein höheres Rentennive­au, wie es die SPD propagiert, kaum gegen die Altersarmu­t helfen würde, da die Betroffene­n die Kriterien für eine höhere gesetzlich­e Rente oft nicht erfüllten. „Tatsächlic­h zielt dieser Vorschlag nicht speziell auf Risikogrup­pen der Altersarmu­t, sondern gleicherma­ßen auf alle Neu-Rentner“, heißt es in der Studie. Ähnlich wirkungslo­s werde der Freibetrag von bis zu 200 Euro im Monat bleiben, den die Koalition für Grundsiche­rungsempfä­nger beschlosse­n hatte, die zusätzlich­e Einkünfte aus privater oder betrieblic­her Altersvors­orge haben. Die Institute empfehlen weitere Verbesseru­ngen für Erwerbsmin­derungsren­tner.

Wer ein Leben lang gearbeitet habe, müsse im Alter mehr haben als die Grundsiche­rung, sagte Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD). „Deshalb war es falsch, dass Frau Merkel und die Union die Solidarren­te abgelehnt haben.“Altersarmu­t sei „in Zukunft vor allem ein Problem für Menschen, die kaum in die Rente eingezahlt haben“, sagte dagegen CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn. „Denen hilft man nicht mit einer milliarden­schweren Anhebung des Rentennive­aus, sondern mit gezielten Maßnahmen etwa für Erwerbsunf­ähige“, sagte er.

Dank hoher Beschäftig­ung entwickelt sich die Finanzlage der Rentenvers­icherung derzeit immerhin besser als erwartet: Das Defizit werde 2017 mit etwa 1,8 Milliarden Euro geringer ausfallen als 2016, hieß es aus Kreisen der Rentenkass­e.

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