Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Essen auf Rädern

- VON NATALIE URBIG

Bis zu 15.000 Kilokalori­en verbraucht ein Tour-deFrance-Profi pro Etappe. Da gilt es, viel und richtig zu essen und zu trinken. Fahrer Rick Zabel verrät seinen Ernährungs­plan.

DÜSSELDORF Es ist 8.45 Uhr. Ein großer Teller Pasta steht vor Rick Zabel. Dazu gibt es zwei Sandwiches mit hartgekoch­ten Eiern. „Das ist ganz normal“, sagt der 23-Jährige, „Essen ist das Benzin für unseren Motor.“Zabel, Sohn von Ex-Sprinter Erik Zabel, braucht an diesem 8. Juni viel Benzin, denn vor ihm liegt eine kräftezehr­ende Etappe der traditions­reichen Dauphiné-Rundfahrt.

Radprofis gehören zu den Sportlern, die die größten Nahrungsme­ngen zu sich nehmen, sagt Joachim Latsch, Oberarzt am Institut für Kreislauff­orschung und Sportmediz­in der Deutschen Sporthochs­chule Köln. Übertroffe­n würden sie nur von Schwergewi­chtlern oder SumoRinger­n. „Bei einem Rennen haben die Fahrer einen immensen Energieums­atz“, erklärt der Mediziner, „und sie sind über mehrere Tage einer hohen Belastung ausgesetzt.“

Wie viel Energie ein Fahrer pro Etappe benötigt, sei von den Strecken- und Wetterbedi­ngungen abhängig. „Bei der Tour de France reden wir von 8000 bis 15.000 Kilokalori­en, die am Tag verbraucht werden“, sagt Latsch. Ein erwachsene­r Mann verbrennt bei normaler Alltagsakt­ivität 2000 bis 3000 Kilokalori­en. Damit Radprofis ein Rennen bewältigen können, müssen sie mit ihren Reserven gut haushalten. Dafür gibt es Ernährungs­berater und Ärzte. „Wir haben auch einen Koch, der uns zu großen Rennen begleitet“, erzählt Zabel, der für das Katjuscha-Team bei seiner ersten Tour de France starten wird. Einen genau abgestimmt­en Ernährungs­plan hat der Radprofi aber nicht: „Jeder Fahrer achtet selber auf sein Gewicht.“Zabel werden die Kalorien, die er am Tag verbraucht, über einen kleinen Computer am Rad angezeigt. In regelmäßig­en Abständen wiegt der Mannschaft­sarzt das Körperfett der Fahrer. „Wenn das Gewicht gleich bleibt oder man ein halbes Kilo verliert, weiß man, dass man sich gut ernährt hat“, erklärt Zabel.

An diesem Morgen liegen 175 Kilometer vor ihm. Das Frühstück gibt es drei Stunden vor dem Rennen. Das Entscheide­nde ist dabei die Zufuhr von Kohlenhydr­aten, sie gelten als wichtigste Energielie­feranten. Die können laut Oberarzt Latsch aber nur zu einem relativ geringen Anteil vom Körper gespeicher­t wer- den. Bei dem Verbrauch, den die Radfahrer haben, ist es also wichtig, dass sie auch während des Rennens für Energienac­hschub sorgen. Das kann über spezielle Getränke oder Snacks erfolgen. Einen Teil des Vorrats haben sie in Trikottasc­hen, während des Rennen werden ihnen darüber hinaus Verpflegun­gsbeutel gereicht. „Da sind Trinkflasc­hen drin und Bananen oder Minisandwi­ches mit Marmelade, Philadelph­ia oder Nutella“, erzählt Zabel.

Einen Teil ihrer Energie können die Profifahre­r aus der Fettverbre­nnung verwerten. „Es ist nicht notwendig, dass sie sich dauerhaft Kohlenhydr­ate als schnellver­fügbare Energieque­lle zuführen“, erklärt Latsch, „sie fahren nicht durchgehen­d am Pulslimit, die Mehrzahl der Zeit bewegen sie sich in einem ausdauerre­levanten Bereich.“Vergleichb­ar sei das mit dem, was ein Jogger im Wald für den Stoffwechs­el aufwendet.

Zabels Etappe dauert heute knapp vier Stunden. In der Zeit isst er zwei Reiskuchen, trinkt 3,5 Liter Wasser und isotonisch­e Getränke und schluckt vier Energiegel­s. Letztere enthalten eine hochkonzen­trierte Dosis Kohlenhydr­ate oder Koffein, die den Körper schnell mit Energie versorgt. Die Herausford­erung liege darin, den richtigen Zeitpunkt zu finden, erzählt Zabel. „Am Berg isst man zum Beispiel nichts“, sagt Zabel, „und wenn man am Li- mit fährt, geht es nur noch um das Renngesche­hen.“Es sind die gemächlich­eren Phasen, die für die Nahrungsau­fnahme genutzt werden. Dabei gilt: trinken, bevor der Durst kommt und essen vor dem Hunger. „Die sind ein Indikator dafür, dass der Körper zuckervera­rmt“, erklärt Latsch, „das ist der so genannte Hungerast.“Zabel hat ihn schon erlebt: „Man ist kraftlos und denkt nur noch an das Essen.“

Auch Sven Teutenberg (44) hat Erfahrunge­n mit dem Hungerast. Der Tour-Teilnehmer von 2001 und 2017 Mitorganis­ator des Grand-Départ in Düsseldorf, sagt: „Manchmal retten einen noch ein Gel oder eine Cola“, sagt er, „aber wenn nichts mehr in den Taschen ist oder man mit eingefrore­nen Fingern nichts mehr essen kann, weiß man, gleich kommt der Mann mit dem Hammer. Dann sinkt das Energielev­el extrem ab, und man kommt kaum ins Ziel. Bei einem hektischen Rennen ist es schwer, Ruhe zu finden. Wenn man Pech hat, fehlt die Energie im Finale.“Und noch etwas droht, wenn die Sportler nicht ausreichen­d Energie zuführen: „Der Körper geht an die Fett- und Eiweißrese­rven, Muskeln, die nicht genutzt werden, werden abgebaut“, erklärt Latsch. „In dem Fall wären es die Arm- oder Brustmuske­ln.“

Derart ausgeklüge­lt war die Ernährung der Radsportle­r früher nicht. Der Kaarster Udo Hempel (70), der in den 1960ern und 1970ern seine Hochzeit hatte, kam auf 150 Kilometern mit zwei Bananen und eineinhalb bis zwei Trinkflasc­hen mit knapp einem Liter aus. Sein Trainer Gustav Kilian achtete zwar auf die Ernährung des Teams, den Kalorienve­rbrauch habe aber „kein Mensch gemessen. Der Körper war sensibilis­iert, wenn man Heißhunger auf etwas verspürte, war es ein Zeichen, dass man das brauchte“, erinnert sich Hempel.

Inzwischen ist es kurz nach 16 Uhr. Zabel ist als 36. ins Ziel gekommen. Er trinkt, um den Flüssigkei­tsverlust auszugleic­hen. Im Teambus ist ein Büffet aufgebaut. Noch arbeitet der Körper auf Hochtouren, unmittelba­r nach der Belastung werden die Kohlenhydr­atspeicher aufgefüllt. Als Snack gibt es zwei Reiskuchen, dann einen Teller Reis mit Ketchup und Wassermelo­nensalat.

Um 19.45 Uhr gibt es Abendessen. Zabel bedient sich am Salatbüffe­tt, dazu gibt es Hähnchenke­ule, Hülsenfrüc­hte mit Pasta und zum Nachtisch einen Brownie ohne Zucker. Ob es ihm schwerfäll­t, solche Portionen und immer wieder Nudeln und Reis zu essen? „Nein“, sagt Zabel, „aber nach den Rennen freue ich mich auch darauf, wieder einen Döner essen zu können.“

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FOTO: DPA Rick Zabel fährt mit 23 Jahren seine erste Tour de France.

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