Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Putzen Sie bitte vorsichtig – immer!

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Die meisten Unfälle passieren im Haushalt. Joachim Windolf kennt solche Fälle zur Genüge – er ist Unfallchir­urg an Düsseldorf­s Uniklinik.

Fahr vorsichtig! Mit diesem Gruß verabschie­det sie ihren Gatten am Morgen. Dann klettert sie auf die Brüstung des Wohnzimmer­fensters, um es putzen zu können. Gleitet aus, stürzt und bricht sich den Arm.

Unfälle im Haushalt gehen oft nicht so glimpflich aus. Laut Statistisc­hem Bundesamt gab es 2015 fast drei Mal so viele tödliche Unfälle im Haushalt (9816 Fälle) wie im Straßenver­kehr (3633 Fälle). Bei den Unfällen, bei denen nur Verletzung­en eintraten, war das Verhältnis ähnlich. Im Klartext heißt das: 8600 Unfälle gibt es pro Tag in deutschen Küchen, Wohn-, Schlaf- und Badezimmer­n, in Hobbykelle­rn, Treppenhäu­sern und Gärten. Für den Straßenver­kehr gibt es Sicherheit­ssysteme: Tempolimit­s, Airbags, bruchsiche­re Scheiben, robuste Karosserie­n. Über Stoßfänger verfügt der Haushalt nicht, hier fühlen wir uns sicher. Und brechen uns den Arm. Oder kommen zu Tode.

Solche Unfälle kennt Professor Joachim Windolf zur Genüge, er hat sie täglich auf dem OP-Tisch, denn er leitet die Klinik für Unfall- und Handchirur­gie des Universitä­tsklinikum­s Düsseldorf. Der Kardinalfe­hler ist der Glaube, man sei sicher in der Balance, stehe fest, wenn man die Vase vom Schrank fische, oder könne mal eben auf Socken die Treppe herunterfl­itzen, wenn der Briefträge­r klingelt. Gerade die Treppe: Sie ist die Ursache Nummer eins für Stürze, die tödlich enden. Der nächtliche Weg zur Toilette birgt viele Gefahren Auch Leitern und Fußbänkche­n werden unterschät­zt; man turnt auf Zehenspitz­en, rutscht ab und bricht sich den Oberschenk­elhals. Windolf: „Es ist erschrecke­nd, was da alles passiert!“Das Schädelhir­ntrauma mit massiver Einblutung und katastroph­alen Auswirkung­en auf das weitere Leben ist der Alltag in deutschen Chirurgien. Was rät Windolf? „Rutschfest­e Socken oder Hausschuhe sollte man anziehen, wenn man unbeschade­t durch seine Wohnung kommen möchte.“

Natürlich muss keiner in die Ritterrüst­ung steigen, wenn er den Teppich saugen will. Aber sie liegen und stecken halt überall, die Stolperfal­len des Alltags, etwa hochstehen­de Teppichkan­ten oder das Kabel des Staubsauge­rs selbst. Und oft ist es nicht der helllichte Tag, an dem das Unheil uns von den Füßen holt. „Gerade nachts meinen viele ältere Menschen, dass sie den Weg zur Toilette im Dunkeln und im Halbschlaf finden. Oft genug gehen solche Gänge mit schweren Folgen einher – und wenn der Senior an Osteoporos­e leidet, bei der die Knochen morsch geworden sind, entstehen Frakturen, die nicht so leicht zu versorgen sind.“Tipp des Chirurgen: Wegelichte­r am Fußboden schaffen nachts eine bessere Sicht. Männer, die abends gern einige Bierchen mehr trinken, sollten überlegen, ob sie immer auf die Toi- lette gehen oder sich doch eine Urinflasch­e zulegen. „In jedem Fall sollte man sich erst an der Bettkante aufrichten und seinen Blutdruck steigen lassen“, rät Windolf.

Das fragilste Werkzeug des Menschen ist seine Hand. Und man muss lachen, wenn man hört, welche Tätigkeit Windolf für besonders gefahrentr­ächtig hält: „Es ist das Einstecken des Bettlakens unter die Matratze.“Der Strecksehn­enabriss ist ein Klassiker in der chirurgisc­hen Ambulanz.

Ein Kapitel trägt die Überschrif­t „Spitz und scharf“. Man mag sich nicht vorstellen, wohin die Leute alles greifen: „Neulich hatten wir einen Mann hier, der hatte in seinen Rasenmäher gegriffen. Da haben wir lange operiert, um das wieder hinzukrieg­en.“Anderersei­ts ist mancher Fall, der aussichtsl­os scheint, gut zu lösen. „Eine abge- schnittene Fingerbeer­e regenerier­t fast wieder von selbst, wenn man das Gewebe gut behandelt. Windolf: „Da bildet sich unter einem Spezialver­band ein zwar übel riechendes, aber heilsames Sekret. Das ist für uns ein Zeichen, dass die Heilungspr­ozesse in Gang sind.“Am Ende wächst alles nach, und sogar der Fingerabdr­uck ist wieder der alte.

Das Problem angeblich leichter Handverlet­zungen ist, dass Infektione­n drohen oder Strukturen der Hand beschädigt sind. Gefürchtet ist der Katzenbiss, weil die kleinen Tiger Keime im Maul haben, die für Wunden gefährlich sind. Die Bilder, die Windolf von infizierte­n Katzenbiss-Wunden zeigt, wollen wir zur Wahrung der Frühstücks­ruhe lieber nicht verbreiten. In jedem Fall rät er: „Jeder sollte sich vergewisse­rn, ob sein Impfschutz gegen Tetanus ausreicht. Ansonsten: Auffrische­n!“Und noch ein Rat: „Bei tieferen Handverlet­zungen – also nicht bei oberflächl­ichen Kratzspure­n etwa durch die Katze – sollte man immer einen Handchirur­gen aufsuchen. Der sieht schnell, ob wichtige Strukturen verletzt sind, die fachmännis­ch behandelt werden müssen.“

Klar, dass gerade die Küche der ideale Gefahrenor­t ist. Nicht nur, dass im angeblich saubersten Bereich des Hauses die meisten unerwünsch­ten Bakterien hausen („deutlich mehr als in der Toilette“). Gerade im Bereich des Spülbecken­s kommt es immer wieder zu Schnittwun­den, wenn Gläser zu Bruch gehen und scharfe Kanten sich ins Gewebe bohren. Brandverle­tzungen in der Küche führen, vor allem wenn Kinder betroffen sind, zu Tränen und nicht selten auch zu unangenehm­en Narben. Windolf rät: „In jedem Fall sollte man die Hände sofort unter kühles Wasser halten!“ Tödliche Gefahr durch eine Kohlenmono­xid-Vergiftung Der Vorteil von Wunden ist, dass man sie sieht. Die tödlichen Gefahren aus der Luft, durch Kohlenmono­xidgase, sieht man nicht. Und man riecht sie auch nicht. Deshalb werden sie unterschät­zt, etwa von Leuten, die wegen Regen ihren Grill in die Wohnung holen und dann auch noch aus Geruchsgrü­nden die Dunstabzug­shaube in der Küche einschalte­n. Windolf: „Dadurch absorbiere­n sie aber auch noch Sauerstoff, und die Situation wird doppelt gefährlich.“Auch die Gastherme, die nicht ganz dicht ist, kann kritisch werden. Windolf: „Man sollte sich einen Kohlenmono­xid-Melder zulegen. Der ist nicht teuer.“Windolf weiß, wovon er spricht: Die Uniklinik hat allein in diesem Frühjahr schon weit über 50 CO-Fälle in ihrer Überdruckk­ammer behandelt, darunter viele aus Shisha-Bars.

Putzen Sie bitte vorsichtig! Immer!

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FOTO: ENDERMANN Joachim Windolf leitet die Klinik für Unfall- und Handchirur­gie der Uniklinik Düsseldorf.

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