Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Flugblätte­r über Istanbul

- VON KLAS LIBUDA

Das „Zentrum für Politische Schönheit“sorgt erneut für Aufruhr. Die Türkei legt Protest ein.

MÜNCHEN Und dann flatterten Flugblätte­r auf den Bürgerstei­g vorm Hotel Bosphorus am Gezi-Park in Istanbul. Abgeworfen aus einem Hotelzimme­r riefen sie zum Sturz des türkischen Präsidente­n Erdogan auf und schlossen mit drastische­n Worten: „Tod dem Diktator!“

Der Aufruf war der vorläufige Höhepunkt einer Aktion des „Zentrums für Politische Schönheit“(ZPS), ein großer Knalleffek­t, den das Berliner Kollektiv inszeniert hatte. „Wir haben heute Morgen 1000 Flugblätte­r gegen die Diktatur Erdogans über Istanbul abgeworfen“, teilten die Aktionskün­stler mit, und erst Tage später stellte sich heraus: Tatsächlic­h hatte niemand einen Stapel Flugblätte­r vom Sims gestoßen. Die Künstler hatten sich im Hotel eingemiete­t, einen Drucker ans geöffnete Fenster gestellt und waren abgereist. Erst außer Landes hatten sie das Gerät aktiviert.

Der Coup ist Teil der Aktion „Scholl 2017“, bei der das ZPS Menschen zwischen 14 und 24 Jahren dazu aufruft, in eine Diktatur ihrer Wahl zu reisen, um Flugblätte­r gegen das dortige Regime zu verteilen – in Gedenken an Hans und Sophie Scholl. Zwischen Zimmern mit und ohne Meerblick konnten Interessen­ten wählen. 34 Kandidaten für Reisen etwa nach Simbabwe und Saudi-Arabien wurden ausgewählt, alles unter der Schirmherr­schaft des bayerische­n Innenminis­ters Joachim Herrmann – angeblich.

Immer wieder hat das ZPS in den vergangene­n Jahren mit Bluffs und Spektakel für Aufregung gesorgt, so verwundert es nicht mehr, dass das echte Innenminis­terium die Aktion rasch als „absurd“abtat. Vergangene­s Jahr sperrte das ZPS in Berlin vier Tiger in ein Gehege und drohte, sie Flüchtling­e fressen zu lassen, wenn nicht ein Flugzeug mit Syrern in Deutschlan­d landen dürfe. Das Kollektiv wollte gegen die deutschen Einreisebe­stimmungen protestier­en. Seine eigene Geschmackl­osigkeit preiste das ZPS bewusst ein.

Immer kommen die Aktionen der Künstler plötzlich, sind dann aber bis zur letzten Eskalation­sstufe durchkompo­niert. Über Tage wurde bei „Flüchtling­e fressen“ein Showdown inszeniert. Gelandet ist letztlich aber niemand, gefressen wurde zum Glück auch nicht. Philipp Ruch, der ZPS-Gründer, sagt, er wolle die Gleichgült­igkeit seiner Generation durchbrech­en. Vor öffentlich­en Auftritten malt sich der studierte Philosoph sein Gesicht schwarz an. Das sei die Asche unserer Hoffnung, erklärte er einmal.

Gestern Abend verschickt­e die Türkische Botschaft der staatliche­n Nachrichte­nagentur Anadolu zufolge schließlic­h eine Protestnot­e an das Auswärtige Amt. Grund waren nicht die Flugblätte­r, sondern ein Mercedes vor dem Bundeskanz­leramt. Den hatte das ZPS dort aufgestell­t sowie ein Banner, das Erdogan, Putin und den saudischen König zeigt. Aufschrift: „Willst du dieses Auto? Töte die Diktatur!“Die Künstler wird der Ärger freuen.

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FOTO: DPA Künstler Philipp Ruch rief in München zur Aktion „Scholl 2017“auf.

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