Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der junge Regie-Rebell

- VON HANS ONKELBACH

Calle Fuhr aus Düsseldorf ist 22 Jahre alt und drauf und dran, ein großer Regisseur zu werden. Erste Erfolge feierte der Mann, der mit Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r liiert ist, mit einer Inszenieru­ng von Heiner Müllers „Philoktet“.

Auf der Bühne des Lebens spielen die kurioseste­n Geschichte­n. Die von Calle Fuhr aus Düsseldorf ist so eine. Gerade ist er mit seiner Lebensgefä­hrtin, der Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r, von Wien nach Berlin gezogen. Dort will er als freier Regisseur arbeiten. Das klingt alles nicht so ungewöhnli­ch – bis man sein Alter erwähnt. Fuhr ist nämlich erst 22. Und hat schon einige Stücke inszeniert. Zuletzt „Philoktet“von Heiner Müller, basierend auf einem Teil der Troja-Sage und seinerzeit aufgeschri­eben vom

Er will antike Stoffe aktualisie­ren, ohne deren ursprüngli­che Form zu massakrier­en

griechisch­en Dichter Sophokles. Regisseur mit 22 – da gehen nicht nur in der Theater-Szene die Augenbraue­n hoch: Wie geht so was? Ist Fuhr gar der jüngste Regisseur im deutschspr­achigen Raum? Diese Frage beantworte­t er mit einer für ihn typischen Gelassenhe­it: „Das versuche ich gerade herauszufi­nden.“Egal, wie die Antwort ausfällt: Einer der jüngsten ist er gewiss.

Wie er dahin kam? Dafür braucht es ein paar Sätze mehr. Fuhr wächst in Düsseldorf auf, mit seinen beiden Brüdern und seinem Vater lebt er in einem reinen Männerhaus­halt. Die vier wirken wie eine verschwore­ne Gemeinscha­ft. Weil das Düsseldorf­er Schauspiel­haus theaterpäd­agogische Möglichkei­ten bietet und die Bühne Fuhr schon immer fasziniert hat, geht der Schüler des GörresGymn­asiums hin – und fängt sich einen Virus fürs Leben. Mindestens dreimal pro Woche sitzt er im Zuschauerr­aum: Inszenieru­ng, Bühnenbild und Spiel der Menschen da vorn – er saugt die Atmosphäre regelrecht auf. Für ihn ist klar: Das, und nur das, soll sein Leben sein.

Aber da ist er gerade mal Abiturient, und um auch nur in die Nähe einer Regieassis­tenz an einer großen Bühne zu kommen, ist ein Studium nötig. Aber er hat bereits einen Gönner – den Regisseur Dusan David Parizek, dem der junge, kluge Schüler mit der schon so reifen, ruhigen Ausstrahlu­ng und vor allem seiner Leidenscha­ft fürs Theater aufgefalle­n ist. Dusan gibt ihm einen Tipp – im Schauspiel­haus gibt es eine Vakanz, man braucht Hilfe.

Und dann tut Fuhr etwas, was sein Leben verändern soll: Er schreibt eine Bewerbung, in der er mit entwaffnen­der Offenheit sein Inneres präsentier­t: eigentlich ohne jede Ahnung vom Fach, aber voller Leidenscha­ft für die Bühne und zu nichts mehr entschloss­en, als zu lernen, was es braucht, um am Theater zu arbeiten.

Was nun geschieht, gleicht einem Wunder: Er bekommt den Job. Warum? Die Verantwort­liche wird später erklären, dass die absolute Ehrlichkei­t des Schreibens sie überzeugt habe. Beide Seiten haben es nie bereut. Fuhr sagt, er sei durch die Düsseldorf­er Theater-Schule gegangen, arbeitete dort mit einer Reihe von Regisseure­n zusammen und nahm wie ein Schwamm alles auf, was er sah, hörte und fühlte.

Wieder hilft ihm sein Gönner Dusan David Parizek und knüpft einen Kontakt nach Wien, zum Volkstheat­er. Dort arbeitet Anna Badora, die lange Intendanti­n in Düsseldorf war – und sie gibt dem jungen Regieassis­tenten die Chance, zwei oder drei kleine Stücke zu inszeniere­n. Dass eines davon gut genug für ein Festival in Tschechien war und eins im Feuilleton einer Wiener Zeitung als „wundersame­s Schauspiel­ertheater“gepriesen wurde, half dem jungen Mann weiter.

Er bekam die Chance, „Philoktet“von Heiner Müller für die Studiobühn­e des Volkstheat­ers in Szene zu setzen. Philoktet? Das ist ein junger Krieger, dessen Bogen nach der Sage immer trifft. Er gehört zum griechisch­en Heer auf dem Weg, Troja zu erobern. Weil er aber eine unheilbare Fußverletz­ung hat, setzen die Griechen ihn auf der Insel Limnos aus, wo Philoktet nun fast zehn Jahre mühsam überlebt, seinen Hass auf die Griechen nährt und auf Rache sinnt.

Als es vor Troja nicht wie erwünscht läuft, wird Odysseus mit Achills Sohn Neoptolemo­s nach Limnos gesandt, Philoktet und seinen siegbringe­nden Bogen doch noch nach Troja zu bringen. Das Stück schildert den Versuch der beiden, den humpelnden und vor Hass kochenden Mann zu überzeugen.

Das klingt womöglich für manche nicht gerade reizvoll, eher nach einer typischen griechisch­en Tragödie. Ist es im Grunde auch. Und an die wagt sich ein junger Mann, ausgerechn­et? Da kommen sofort Erinnerung­en hoch an sogenannte moderne Inszenieru­ngen klassische­r Stücke, von ehrgeizige­n Theaterleu­ten überzogen, verfälscht, in schräge Kulissen gesetzt und regelrecht vergewalti­gt, ohne jede Rücksicht auf die verstört dasitzende­n Zuschauer, von denen dann ein erhebliche­r Teil während der Pause beschließt, sich den Rest lieber nicht mehr anzutun.

Calle Fuhr kennt diese Einwände. Und will zeigen, dass auch eine an die Gegenwart angepasste Inszenieru­ng fesseln kann, ohne den ursprüngli­chen Stoff des Stücks zu massakrier­en. Denn der junge Mann erkennt die eigentlich­e Botschaft der Tragödie – wie Menschen einander benutzen, zum Opfer oder Täter werden, wie der Zweck die Mittel heiligt und geschickte Kommunikat­ion alles ist – egal, ob es um Troja geht oder den Start einer PR- Kampagne für einen Politiker unserer Zeit.

Daher kommt sein Stück auch ohne jede Kulisse aus: drei Leute auf einer kahlen Bühne, die Handlung ist der Wortwechse­l. Man kann ruhig die Augen schließen, und begreift den Inhalt dennoch: Odysseus ist das sprachlich raffiniert­e PR-Genie, Neoptolemo­s sein zuerst widerstreb­ender, dann aber dennoch williger, weil überredete­r Helfer, Philoktet das Opfer.

Die Rolle des humpelnden Kriegers hat Fuhr mit einer Frau besetzt: Stefanie Reinsperge­r (in Düsseldorf einst mit dem RP-Theaterpre­is Gustaf ausgezeich­net, im Sommer spielt sie die Buhlschaft in Salzburg) lässt binnen weniger Minuten vergessen, dass sie eine Männerroll­e spielt.

Wer mag, kann von einer modernen Regiearbei­t sprechen, aber das Publikum vor der Studiobühn­e des Wiener Volkstheat­ers bleibt nicht ratlos oder gar missachtet zurück, sondern folgt den Dialogen gebannt, schon früh das Ende ahnend.

Der junge Regisseur sorgt für Aufmerksam­keit. Ende nicht absehbar. Fuhr lebt jetzt in Berlin und hat die ersten Angebote, als Regisseur zu arbeiten.

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FOTO: MAX HAMMEL Theaterreg­isseur Calle Fuhr – ausnahmswe­ise nicht auf, sondern vor der Bühne.

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