Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Oswald Egger geht Wörter ernten

- VON CLAUS CLEMENS

Der Lyriker traf bei einer Lesung im Heine-Haus auf Durs Grünbein.

Solche Lobeshymne­n kommen auch im Heine-Haus nicht alle Tage vor. Als „Grundbuch der neueren Poesie“pries der Dichter Durs Grünbein das jüngste Werk seines Dichterkol­legen Oswald Egger an. Mehr noch: Der in Berlin lebende Weltbürger Grünbein nannte den auf der Neusser Raketensta­tion wirkenden Südtiroler Egger einen „Homer der Neuzeit“. Dessen vorgestell­ter Prosaband heißt „Val di Non“, und Egger findet darin für jedes Ding und jedes Pflänzchen ein zauberhaft­es Wort.

Es ist das Südtiroler Nonstal bei Lana, das im Buch durchstrei­ft wird, eine geologisch­e Bruchstell­e, die lange vor dem Entstehen der Alpen existierte. „Vielleicht das hässlichst­e Tal meiner Heimat“, erinnert sich der Autor. Und dennoch hat es ihn von jeher fasziniert. Allein schon der Name, der im Italienisc­hen sein schieres Dasein verneint. Egger liebt die Verneinung­en der Sprache. Vor allem die Vorsilbe „un-“hat es ihm angetan, und der Duden ist voll von „Un“-wörtern: „ungeformt, ungeschlif­fen, ungehemmt“sind einige der schönsten.

Bei einer alten Karte, die er im Heine-Haus zeigte, sei, so Egger, schon wegen des Flachrelie­fs „alles unwirklich“. Auch eine der in dem reich illustrier­ten Buch erforschte­n Fragen könnte lauten: Was, wenn man in Gedanken versuchte, die Faltungen der Erde glatt zu streichen, also Gebirge nicht höher sein zu lassen als die Täler?

Oswald Egger lehrt in Kiel als Professor für Sprache und Gestalt, Durs Grünbein tut Ähnliches an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie. Das Riesenlob für seinen Kollegen ergibt sich aus Grünbeins Staunen über so viel Sprachwuch­t in „Val di Non“. „Was sind Flyschdist­eln, Zulpbeutel, Knittlitze­n, Schlafzage­l, Schlampamp­er und Kalmblasen?“, wunderte er sich und kommentier­te dann: „Dieser Autor schreibt eine Naturgesch­ichte der Wörter und Wortstämme. Seit langem ist er auf der Suche nach dem Urtext.“

Und genau für dieses herrlich gelesene Raunen über Natur und Landschaft, für Eggers’ üppige Lautfluten und überhaupt die ganze Klangmaler­ei waren wohl die meisten der Zuhörer auf die Bolkerstra­ße gekommen.

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FOTO: HAMMER Der Schriftste­ller Oswald Egger.

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