Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kanada – das bessere Amerika

- VON MATTHIAS BEERMANN UND JÖRG MICHEL

VANCOUVER Tagelang schwelgte Kanada in seinen Nationalfa­rben weiß und rot: Am 1. Juli beging das nordamerik­anische Land den 150. Jahrestag seiner Staatsgrün­dung – und das wurde äußerst ausgiebig gefeiert. Fast eine halbe Milliarde Dollar investiert­e die Regierung in die Feierlichk­eiten. In Partys, Konzerte, Shows, Feuerwerke, aber auch in neue Infrastruk­turprojekt­e wie Museen, Gemeindeha­llen oder Sportplätz­e.

Das zweitgrößt­e Land der Erde will sich zum Jubiläum von seiner besten Seite zeigen und sich nebenbei mit neuen Ambitionen auf der Weltbühne zurückmeld­en. Als das bessere und sympathisc­here Nordamerik­a, als Land mit einem eigenständ­igen, weltoffene­n und liberalen Profil, ganz besonders auch in Zeiten, in denen beim südlichen Nachbarn in den USA Präsident Donald Trump genau das Gegenteil verkörpert.

Weniger Waffen, weniger Morde, eine viel breitere Gesundheit­sversorgun­g und diese unfassbar grandiose Natur – gerade aus europäisch­er Perspektiv­e fällt es tatsächlic­h leicht, Kanada irgendwie als die bessere Version der Vereinigte­n Staaten zu sehen. Als heilere, friedliche­re und gelassener­e Variante der oft so verworrene­n und widersprüc­hlichen Weltmacht USA.

Für Kanada ist es dagegen ein delikater Balanceakt. Einerseits will die liberale Regierung von Premiermin­ister Justin Trudeau ihre Unabhängig­keit von US-Präsident Donald Trump beweisen. Anderersei­ts hat sie kein Interesse daran, den mächtigen Nachbarn im Süden allzu sehr in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaft­lichen, militärisc­hen und kulturelle­n Bande zwischen beiden nordamerik­anischen Ländern. Und zu übermächti­g scheint der von der Bevölkerun­g her neunmal größere Nachbar USA.

Kein Zweifel besteht, dass die meisten Kanadier mit der derzeitige­n USPolitik nur wenig anfangen können. Und auch Premier Trudeau steht in vielen Fragen den europäisch­en Verbündete­n erheblich näher als den USA. So befürworte­t er den Klimapakt von Paris, aus dem Trump austreten will. Er wirbt für den Freihandel, dem Trump skeptisch gegenübers­teht. Er vertritt eine liberale Zuwanderun­gspolitik, während die USA Bürgern aus muslimisch­en Ländern die Einreise verweigern und eine Mauer zu Mexiko bauen wollen.

In einer viel beachteten Grundsatzr­ede im Unterhaus in Ottawa hatte Außenminis­terin Chrystia Freeland nur wenige Wochen vor dem 150. Jubiläum die Außenpolit­ik Kanadas strategisc­h neu ausgericht­et – und sich dabei demonstrat­iv von den USA abgesetzt. Angesichts der zunehmend isolationi­stischen Politik Trumps setzt Kanada auf einen eigenständ­igeren Kurs und will sich wieder stärker an internatio­nale Organisati­onen und Gremien wie die Nato, die Vereinten Nationen oder die G 20 anlehnen.

„Die Tatsache, dass unser Freund und Alliierter den Wert seiner eigenen weltweiten Führung in Frage stellt, zwingt uns und alle anderen, auf einen eigenen souveränen Kurs zu setzen“, hatte Freeland damals erklärt. Nur einen Tag darauf kündigte die Regierung zudem eine massive Aufstockun­g der Verteidigu­ngsausgabe­n an. Diese sollen in den nächsten zehn Jahren um satte 70 Prozent steigen.

In Kanada vertritt man nämlich ähnlich wie auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Einschätzu­ng, dass man sich im Falle eines Falles nicht mehr komplett auf den Schutzschi­rm der Amerikaner verlassen könne. Das polternde Auftreten Trumps beim diesjährig­en Nato- und G 7-Gipfel sowie der sangund klanglose Ausstieg Washington­s aus dem Klimaschut­zabkommen von Paris hat auch in Ottawa die Alarmglock­en schrillen lassen.

Trotzem wird Trudeau versuchen müssen, nicht alle Brücken zu Trump abzureißen. Kanada wickelt schließlic­h rund zwei Drittel seines Außenhande­ls mit den USA ab, die Kanadier teilen mit den Amerikaner­n die mit 9000 Kilometern längste Landgrenze der Welt und sind trotz der politische­n Entfremdun­g auf ein funktionie­rendes Verhältnis zu Washington angewiesen. Das gilt insbesonde­re mit Blick auf das nordamerik­anische Freihandel­sabkommen Nafta, das auf Druck aus den USA demnächst neu verhandelt werden soll.

Für Schlagzeil­en sorgten Berichte, wonach Trudeau den USA auf dem G 20-Gipfel in Hamburg angeblich mit einem verwässert­en Bekenntnis beim Thema Klimaschut­z entgegenko­mmen wollte. Richtig ist, dass der angekündig­te Austritt der Amerikaner aus dem Paris-Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck setzt, da die kanadische Industrie erhebliche Wettbewerb­snachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten muss. In Ottawa wurden die Gerüchte allerdings schon vor dem Gipfel scharf dementiert. „Wir werden den Vertrag von Paris weiter umsetzen, und wir stehen vereint mit all jenen Ländern, die den Vertrag unterstütz­en“, erklärte eine Sprecherin Freelands.

Als Kanada am 1. Juli 1867 als eigenständ­iger Staat ausgerufen wurde, war es den Gründungsv­ätern angesichts der schwindend­en Weltmachtr­olle Großbritan­niens nicht zuletzt auch darum gegangen, auf dem nordamerik­anischen Kontinent ein Gegengewic­ht zu den erstarkend­en USA zu schaffen. 150 Jahre später versucht das Land, wieder einmal aus dem Schatten des übermächti­gen Nachbarn zu treten. Dazu verfolgt Kanada mit Blick auf die USA eine Strategie der Beschwicht­igung. Wo immer es geht, versucht die kanadische Regierung, Trump zu ignorieren und arbeitet stattdesse­n direkt mit US-Bundesstaa­ten, Städten und Wirtschaft­svertreter­n zusammen. „Keiner macht das so intelligen­t wie Trudeau“, lobt die Stanford-Professori­n und Washington­Insiderin Kori Schake. „Von dieser Strategie kann auch die deutsche Regierung noch etwas lernen.“

Trudeau vertritt

eine liberale Zuwanderun­gspolitik, während Trump eine

Mauer bauen will

Newspapers in German

Newspapers from Germany