Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich will nicht, dass Chaoten bestimmen“

-

Der neue NRW-Innenminis­ter über den Polizeiein­satz in Hamburg, Unsicherhe­itsgefühle in NRW und was er gegen „No-go-Areas“tun will.

DÜSSELDORF CDU-Politiker Herbert Reul sitzt auf einem schwarzen Ledersofa, das in seinem weiträumig­en Büro im Innenminis­terium steht. Der neue NRW-Minister des Inneren macht es sich bequem. Herr Reul, wie bewerten Sie den Einsatz der Polizei in Hamburg? REUL Ich gehöre nicht zu denen, die sich vor einer gründliche­n Auswertung der Fakten eine abschließe­nde Meinung bilden. Hamburg war eine extreme Herausford­erung für die Sicherheit­skräfte. Die Aggressivi­tät und Brutalität der Links-Chaoten verlangte von den Polizistin­nen und Polizisten außerorden­tliche Anstrengun­gen. Sie haben überlegt und entschloss­en gehandelt, und wir sollten uns bei ihnen bedanken. Ist es sinnvoll, Veranstalt­ungen wie den G 20-Gipfel mitten in Großstädte­n durchzufüh­ren? REUL In unserem demokratis­chen Staat darf man überall demonstrie­ren, und es muss auch möglich sein, überall Gipfelvera­nstaltunge­n durchzufüh­ren. Ich will nicht, dass Chaoten bestimmen, ob und wo solche stattfinde­n. Übrigens: Ein Gipfel benötigt ausreichen­d Bettenund Tagungskap­azitäten. Hat das Innenminis­terium in NRW an Bedeutung verloren? REUL Wie kommen Sie darauf? Die Zuständigk­eit für Kommunen liegt jetzt beim Heimatmini­sterium und die neue Bosbach-Sicherheit­skommissio­n sitzt in der Staatskanz­lei. Was entscheide­n Sie eigentlich noch selbst? REUL Wir haben jetzt ein Haus der inneren Sicherheit und keinen Gemischtwa­renladen mehr. Und das ist genau das, was wir brauchen. Denn die innere Sicherheit ist eine ganz zentrale Aufgabe. Da geht es um sehr viel mehr als um Polizei oder die Anzahl der Polizisten. Es geht um die Frage, ob der Staat in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen keine Angst haben müssen. Das Sicherheit­sgefühl hat sich in den letzten Jahren verschlech­tert. Und das ist der Nährboden, auf dem Populismus gedeiht. Müssen Sie nicht Mitglied der Bosbach-Kommission sein? REUL Nein. Wir sollten die Fachleute in dieser Kommission jetzt ihre Arbeit machen lassen. Und zwar ganz bewusst losgelöst vom Tagesgesch­äft im Ministeriu­m. Warten wir doch einfach mal die ersten Ergebnisse ab. Wenn die da sind, ist es meine Aufgabe, diese Ergebnisse einzuordne­n und zu sagen: Diese Vorschläge setzen wir um und diese nicht. Ich betrachte die Kommission als riesige Hilfe für mich. Was sagen Sie denn den Menschen, die Angst haben auf der Straße? REUL Ich kann das Unsicherhe­itsgefühl der Menschen nachvollzi­ehen. Wir können es aber nicht von heute auf morgen wegzaubern. Vor allem sollten wir nichts verspreche­n, was wir nicht halten können. Markige Sprüche bringen nichts. Das Problem wird nur schrittwei­se zu lösen sein. Gründlichk­eit und Konsequenz sind dabei gefragt. Kann man sicher in NRW leben? REUL Ja. Aber es gibt Gegenden, die problemati­sch sind. Gibt es „No-go-Areas“? REUL Wenn sich die Menschen in einigen Stadtteile­n nicht mehr auf die Straße trauen, dann ist das für die Betroffene­n eine „No-go-Area“. Was wollen Sie dagegen tun? REUL Videobeoba­chtung kann viel bewirken. Das muss ausgebaut werden. Wir müssen flexibler werden. Das heißt im Fall der Kameras: Sie dürfen nicht immer am selben Ort hängen, sondern müssen den Kriminalit­ätsschwerp­unkten folgen, wenn die sich verlagern. Nicht nur Bürger, sondern auch Polizisten und Rettungskr­äfte werden zunehmend Opfer von Gewalt. REUL Wer mit Gewalt gegen diejenigen vorgeht, die helfen wollen, wendet sich gegen die grundlegen­den Werte unserer Gesellscha­ft. Das ist ein Problem, das Politik nicht allein lösen kann. Da muss die Gesellscha­ft selbst eine Haltung zu entwickeln: Wir werden das nicht dulden. Ein Wahlverspr­echen lautete, es gibt bald mehr Polizei auf der Straße. Wann ist es so weit? REUL Wir können uns keine Polizisten backen. Die müssen ausgebilde­t werden. Und das dauert. Die Aufstockun­g der Neueinstel­lungen auf 2300 Anwärterin­nen und Anwärter pro Jahr ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Kann die Polizei nicht von Aufgaben entlastet werden? Muss sie BagatellUn­fälle aufnehmen und Schwertran­sporte begleiten? REUL Die Spezialist­en müssen dahin, wo sie gebraucht werden: auf die Straße und in die Kommissari­ate. Deshalb werden wir sie von administra­tiven Aufgaben entlasten. Dazu stellen wir zum Beispiel Verwaltung­sassistent­en ein. Finden Sie überhaupt genügend junge Leute, die bei alldem noch Polizist werden wollen? REUL Wir sind im Wettbewerb mit allen anderen auf dem freien Markt, die ebenfalls gute Leute suchen. Polizist ist für viele ein Traumberuf. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern! Unser Anspruch ist, von der Qualifikat­ion, der Mentalität und der Einstellun­g her die besten Bewerber zu gewinnen. Dazu gehört auch Vertrauen. REUL Genau. Und deshalb können sie sich darauf verlassen, dass ich hinter ihnen stehe. Auch wenn mal was schiefgeht. Die Polizisten ärgern sich sehr über die Kennzeichn­ungspflich­t an ihren Uniformen. REUL Das ärgert auch mich maßlos. Damit werden die Kollegen unter Generalver­dacht gestellt. Darum werde ich die Kennzeichn­ungspflich­t so schnell es geht abschaffen. NRW steht im Fokus von Terroriste­n. Die Zahl der Gefährder ist gestiegen. REUL Ganz Europa steht im Fadenkreuz der Terroriste­n. Und damit auch NRW. Hier leben die meisten Menschen. Und was kann man dagegen tun? REUL Es braucht eine durchdacht­e Strategie und konsequent­e Umsetzung dieser Strategie. Die eine einzig richtige Antwort gibt es nicht. Themawechs­el: Werden die Blitzmarat­hons abgeschaff­t? REUL Das wird es in dieser Form nicht mehr geben. Damit will ich aber nicht sagen, dass wir nichts gegen Verkehrssü­nder tun. Trotzdem: Der Aufwand für einen Blitzmarat­hon ist einfach nicht vertretbar. Terroriste­n haben für mich eine höhere Priorität. An welcher Kennzahl wollen Sie in fünf Jahren gemessen werden? REUL Ich möchte, dass die Leute in fünf Jahren sagen: Ich kann mich sicher in NRW bewegen. Überall. Es wird nicht alles perfekt sein. Aber es soll spürbar besser werden. Die Menschen sollen sich sicherer fühlen als heute. THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Newspapers in German

Newspapers from Germany