Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Geigenklän­ge aus der Unterwelt

- VON ARMIN KAUMANNS

Die „Klangräume“erschließe­n ungewöhnli­che Orte für die klassische Musik. Diesmal einen Kanal.

Der Raum macht die Musik. Dieser Satz hallt herauf in diesem überrasche­nd kühlen, etwas muffigfeuc­hten Gewölbe, in dem die Besucher im beinahe völligen Dunkel umhertapse­n und den Klängen lauschen, die vom einen bis zum anderen Ende der 200 Meter langen Röhre sechs Meter unter dem Boden umherwaber­n. Das Festival „Klangräume“, das zum vierten Mal neue und neueste Musik an besonderen Orten der Stadt inszeniert, hat sich erneut in den Schau-Kanal im Ortsteil Golzheim verliebt. Hier, wo einst eine Art Überlauf der städtische­n Wasser-Unterwelt in den Rhein Überschwem­mungen bei Starkregen verhindern sollte, lässt sich ganz wunderbar sinnlich mit neuen Klängen improvisie­ren.

Miro Dobrowolny, Protagonis­t im Komponiste­n-Verein Klangraum 61 und Leiter des Art-Ensemble, empfängt die 15-köpfige Besuchergr­uppe mit leisen, langsam pulsierend­en Geigen-Tönen. In der Badezimmer- akustik der Backsteinw­ände verflechte­n sie sich innig mit den Sounds, die Theodor Pauß an seinem Elektronik-Mischpult in diese Unterwelt entlässt. Über eine Wendeltrep­pe ist man in die Röhre hinabgesti­egen, an deren Wänden Salze auskristal­lisieren, Pilzhyphen feine Teppiche spinnen, Wassertrop­fen an Spinnfäden glitzern, wenn die mitgebrach­ten Taschenlam­pen sie beleuchten. Tapsen im Klang, irgendwo abseits der feuchtglit­schigen Bodenrinne soll eine Kröte hausen. In den Nischen stehen jetzt Musiker. Cellist Othello Liesmann etwa, der mit Stirnlampe auf einem Podest sitzt und Dobrowolny antwortet, einen verabredet­en Tonraum nutzt, die Spieltechn­iken der Moderne zur Klangmodul­ation nutzt. Ums Eck bläst Jörgen Löscher in sein Saxophon, in Gummistief­eln unter einem senkrechte­n Schacht mit Steigeisen, der zum Gullydecke­l führt. Wie in der Geisterbah­n. An dieser Stelle wabern Streicher und Elektronik nur mehr undeutlich, stattdesse­n mischen sich gesungene Klänge ins jazzig angehaucht­e Gebläse. Denn am Ende des Kanalstück­s stehen Barbara Beckmann, Hinnerick Bröskamp und Friends und reiben ihre Töne aneinander, hecheln und zischen dazu, spielen mit dem Nachhall vor der schwereise­rnen Stahltür, die den Schaukanal von der wirklich wasserdurc­hströmten Unterwelt abschottet.

Man lauscht, ist umfangen von Klang und Raum. Und erquickt, wenn es nach dem Weg zurück in die Schwüle der Oberwelt Wein und viele Gespräche gibt.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Miro Dobrowolny spielt Geige im Abwasserka­nal Golzheim.

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