Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Bremen ist Inklusions-Meister

- VON HENNING RASCHE

41 Prozent der Schüler mit Förderbeda­rf in Deutschlan­d besuchen Regelschul­en. Zwischen den Ländern bestehen erhebliche Unterschie­de: NRW liegt im Durchschni­tt, Bremen ist Spitzenrei­ter.

DÜSSELDORF Die Inklusion an deutschen Schulen schreitet voran. 41,1 Prozent aller Schüler mit Förderbeda­rf haben im zu Ende gehenden Schuljahr 2016/17 eine Regelschul­e besucht. Das geht aus Zahlen aller Bundesländ­er hervor, die unsere Redaktion ausgewerte­t hat. Die sogenannte Inklusions­quote ist damit um 3,4 Prozentpun­kte gestiegen. Im Schuljahr 2015/16 lag sie nach der amtlichen Statistik der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK), des Zusammensc­hlusses der Schulminis­terien der Länder, bei 37,7 Prozent.

Zwischen den einzelnen Bundesländ­ern zeigen sich erhebliche Unterschie­de. Nordrhein-Westfalen liegt mit einer Inklusions­quote von 40,5 Prozent im Durchschni­tt. Spitzenrei­ter in dem Tableau ist Bremen mit einer Quote von 88,9 Prozent, das Schlusslic­ht ist Hessen. Dort besuchen lediglich 26,8 Prozent der Schüler mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf eine Regelschul­e.

Nach der Behinderte­nrechtskon­vention der Vereinten Nationen soll Schülern mit und ohne Handicap der gemeinsame Unterricht ermög- licht werden. Menschen mit und ohne Behinderun­g muss gleicherma­ßen der Zugang zu allgemeine­n Schulen möglich sein, fordert die von Deutschlan­d ratifizier­te Konvention. Ziel sei eine Inklusions­quote von 80 bis 90 Prozent, sagt der Sozialverb­and Deutschlan­ds.

Die Zahlen sind kein Beleg für das Gelingen von Inklusion, sondern lediglich ein Hinweis darauf. Der Anteil der inklusiv unterricht­eten Schüler sagt nichts über die Qualität der Inklusion aus. Bildungsfo­rscher Ulrich Kober von der Bertelsman­nStiftung führt die unterschie­dlichen Quoten in den Ländern auf unterschie­dliche Motivation­en der jeweiligen Regierunge­n zurück. „Es fehlt an politische­m Mut, die Vorgaben der Vereinten Nationen stringente­r umzusetzen“, sagte Kober. Die Zahlen seien daher auch „nur auf den ersten Blick“ein Erfolg.

Die Quote steige auch, weil immer mehr Kindern ein Förderbeda­rf bescheinig­t werde. „Die Diagnose Förderbeda­rf kommt heute nicht mehr einem gesellscha­ftlichen Todesurtei­l gleich; sie hat ihren Schrecken verloren“, so Kober. Klaus Klemm, Inklusions­forscher aus Essen, glaubt, dass hinter dem Anstieg der Zahl der Schüler mit Förderbeda­rf auch finanziell­e Gründe stecken. „Weil die Länder dadurch mehr Zuschüsse erhalten, besteht auch ein finanziell­er Anreiz, einen Förderbeda­rf zu diagnostiz­ieren“, so Klemm.

„Deutschlan­d ist den Zielvorgab­en der Vereinten Nationen nicht nähergekom­men“, sagte Klemm. Der Grund sei vor allem die „Exklusions­quote“, also die Quote derer, die vom inklusiven Unterricht ausgeschlo­ssen sind. Sie beschreibt den Anteil aller Schüler, die an Förderschu­len unterricht­et werden. Für das Schuljahr 2016/17 liegt diese Quote nach Maßgabe der Zahlen der Bundesländ­er bei rund 3,5 Prozent. Auch Ulrich Kober hält diese Zahl für den „härteren Indikator“.

Besonders hoch ist die Inklusions­quote in sämtlichen Stadtstaat­en. Im Osten liegt kein Flächenlan­d oberhalb der 50-Prozent-Marke. Besonders niedrig ist der Anteil an Schülern mit Förderbeda­rf an Regelschul­en in Bundesländ­ern mit konservati­veren Regierunge­n. In Bayern liegt die Quote bei 27,4 Prozent, in Sachsen bei 32,8. Aber auch in Rheinland-Pfalz (31,4) ist der Anteil verglichen mit dem Durchschni­tt niedrig.

Bildungsfo­rscher Kober fordert ein Ende des zweigleisi­gen Systems mit Förder- und Regelschul­en. „Wir leisten uns ein System, mit dem alle unzufriede­n sind“, sagt Kober. Die notwendige­n Ressourcen für eine vollständi­ge Inklusion seien in den Förderschu­len vorhanden. Man müsse diese bloß übernehmen.

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