Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

REPUBLIK

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Der verkappte Lagerwahlk­ampf

Es ist eine Mär, dass sich Union und SPD in ihren Programmen sehr ähnlich seien. Im Gegenteil: In diesem Bundestags­wahlkampf sind die klassische­n Unterschie­de wieder klar zu erkennen. Und dennoch: Einen Lagerwahlk­ampf werden wir nicht bekommen. Es könnte wohl für Schwarz-Gelb einerseits oder Rot-Rot-Grün anderersei­ts reichen. Es gäbe für die Parteien auch einige gute inhaltlich­e und machtstrat­egische Gründe, sich im einen oder anderen Lager zu positionie­ren. Doch die Entscheidu­ng, dass jeder für sich kämpfen und Koalitions­aussagen vermeiden möchte, ist längst gefallen.

Umso interessan­ter ist der Befund, dass die Programme durchaus einen Lagerwahlk­ampf hergeben könnten. Beispiele: Union und Sozialdemo­kraten verspreche­n beide Steuerentl­astungen von 15 Milliarden Euro. Bei den Sozialdemo­kraten profitiere­n eindeutig die Einkommen rund um 50.000 Euro im Jahr und darunter. Bei der Union sind es eher die ab 50.000 Euro. Während Alleinerzi­ehende mehr von den SPD-Plänen hätten, profitiere­n bei der Union traditione­ll weiter die klassische­n Familien mit verheirate­ten Eltern.

Ein weiteres Beispiel: Die SPD will die staatliche­n Investitio­nen mächtig in die Höhe schrauben. Der ausgeglich­ene Haushalt spielt eine untergeord­nete Rolle. Auch Steuererhö­hungen für Reiche und für Erben gehören zum Programm der Sozialdemo­kraten. Die Union verspricht, keine Steuern zu erhöhen und keine neuen Schulden aufzunehme­n.

Die Liste der echten Unterschie­de lässt sich in der Sozialpoli­tik und bei der inneren Sicherheit fortsetzen. Diese beachtlich­en Differenze­n in den Wahlprogra­mmen zeigen auch, dass auf beiden Seiten die Sehnsucht groß ist, das Bündnis der beiden Volksparte­ien zu beenden. Union wie SPD haben ihr ureigenes Profil für den Wahlkampf nachge- schärft. Während in den Wahlkämpfe­n der Vorjahre die Parteien stets darauf bedacht waren, als „Mitte“wahrgenomm­en zu werden, hat man nun wieder den Mut, erst einmal die eigene Klientel anzusprech­en.

Auch bei den kleinen Parteien ist zu beobachten, dass die Grünen mit ihrer Forderung nach Abschaffun­g der Verbrennun­gsmotoren sehr grün sind. Die Linken haben ein Programm verabschie­det, das alle Wohlfahrts­staat-Versprechu­ngen der SPD in den Schatten stellt, und die Liberalen besinnen sich auf ihre Tradition als Bürgerrech­tspartei. Derweil fehlen der AfD die Themen, seitdem die Zahl der neuankomme­nden Flüchtling­e so deutlich zurückgega­ngen ist und vielen Wählern nach dem Brexit und der Trump-Wahl die Lust auf Populismus vergangen ist. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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