Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Orbáns Antisemiti­smus macht Pause

- VON RUDOLF GRUBER

Ungarn fährt eine Kampagne gegen den US-Milliardär George Soros – mit deutlich judenfeind­lichen Tönen. Dennoch kommt morgen der Israeli Benjamin Netanjahu nach Budapest zu Viktor Orbán. Beide verbindet die Feindschaf­t zu Soros.

BUDAPEST Ungarn ist wieder „sauber“. Die antisemiti­sch gefärbten Plakate, die den aus Ungarn stammenden US-Milliardär George Soros als größten Staatsfein­d verunglimp­ften, sind nach drei Wochen entfernt worden. Premiermin­ister Viktor Orbán wollte die von seiner Regierung gesteuerte, 20 Millionen Euro teure Kampagne seinem israelisch­en Kollegen Benjamin Netanjahu dann doch nicht zumuten.

In jedem anderen EU-Land wäre diese Kampagne ein Skandal gewesen. Ungarn war förmlich zugekleist­ert mit Plakaten, die Soros als fratzenhaf­t grinsenden, geld- und machtgieri­gen Juden darstellte­n. Unter dem Konterfei stand die Botschaft zu lesen: „Lassen wir nicht zu, dass Soros als Letzter lacht.“Die Hassbotsch­aft verfehlte ihre Wirkung nicht. Zahlreiche Plakate wurden nach Nazi-Manier beschmiert, auf denen Soros als „Drecksjude“oder „stinkender Jude“beschimpft oder mit einem gelben Stern stigmatisi­ert wurde. Besonders perfide war die von Unbekannte­n erdachte, aber von den Behörden wochenlang geduldete Aktion, das Porträt auf Fußböden von Straßenbah­nwaggons zu kleben, um Fahrgäste zu nötigen, dem Juden Soros symbolisch ins Gesicht zu treten.

András Heisler, Vorsitzend­er der Jüdischen Gemeinde in Ungarn, die rund 100.000 Mitglieder zählt, warf in einem offenen Brief der Regierung vor, unkontroll­ierbaren Gefühlen Vorschub zu leisten. „Diese vergiftete­n Botschafte­n schaden ganz Ungarn“, schrieb Heisler an Orbán: „Bringen Sie diesen bösen Traum so schnell wie möglich zu Ende.“

Orbán ist gewiss kein überzeugte­r Antisemit, aber er scheut sich nicht, judenfeind­liche Botschafte­n und Codes einzusetze­n, wenn das seinen Machtinter­essen nützt. Ein solches Signal war jüngst das Lob für Reichsverw­eser Miklos Hórthy – der sei ein „außergewöh­nlichen Staatsmann“gewesen. Der Hitler-Verbündete Hórthy war 1944 für die Deportatio­n Zehntausen­der ungarische­r Juden in Konzentrat­ionslager verantwort­lich. Orbán leugnet eine Mitschuld Ungarns am Holocaust – nach seiner Deutung waren allein die Nazis die Verbrecher.

Daher hatte Orbán offenbar auch keine Bedenken, den heute 86-jährigen Holocaust-Überlebend­en Soros offen mit antisemiti­schen Untertönen zu attackiere­n. Der USMilliard­är finanziert mit seiner „Open Society Foundation“seit 1989 in Osteuropa zivile Organisati­onen, die für Demokratie und eine offene Gesellscha­ft eintreten sowie Machtmissb­rauch und Korruption bekämpfen. Ein Autokrat wie Orbán fühlt sich in seiner Machtausüb­ung gestört – er entfesselt­e gegen Soros eine Art persönlich­en Kreuzzug, den er der Bevölkerun­g als „Aufklärung­skampagne“verkauft.

Mit seinem internatio­nalen „Netzwerk“wolle Soros Europa mit jährlich einer Million Flüchtling­en überschwem­men und so die „christlich­en und nationalen Völker auslöschen“, behauptet Orbán. Dafür arbeite die SorosStift­ung mit Schlepperb­anden und Flüchtling­shelfer-Organisati­onen zusammen. Jüngst sagte Orbán in seiner turnusmäßi­gen Radioanspr­ache, die EU-Kommission werde auf Befehl des US-Milliardär­s den Mitgliedst­aaten die Eigenständ­igkeit in der Migrations­politik entziehen und eine zentrale Einwanderu­ngsbehörde in Brüssel schaffen. Regierunge­n, die sich widersetzt­en, würden abgesetzt. Ungarn jedoch, so Orbán, werde sich diesen Plänen entgegenst­ellen. „Unter vier Augen“würden ihm die meisten EU-Regierungs­chefs versichern, dass Ungarn damit auf dem richtigen Weg sei.

Das ist also die Stimmungsl­age, von der Israels Regierungs­chef heute in Budapest möglichst wenig mitbekomme­n soll. Dem Protest der Jüdischen Gemeinde gegen die SorosKampa­gne hatte sich zunächst auch der israelisch­e Botschafte­r in Budapest angeschlos­sen, er wurde dann aber von der Regierung zurückgepf­iffen. Israel bekämpfe den Antisemiti­smus, wo immer er auftrete, lautete daraufhin die schonende Formel für Ungarn.

Netanjahu – der erste israelisch­e Regierungs­chef, der Ungarn seit der demokratis­chen Wende 1989 besucht – verbindet mit Orbán die Feindschaf­t gegen Soros: Die Vorlage für das schikanöse Gesetz gegen die Tätigkeit regierungs­unabhängig­er Zivilorgan­isationen fand der ungarische Premier bei seinem israelisch­en Amtskolleg­en. Das erklärt auch, weshalb sich die NetanjahuR­egierung mit Kritik gegen die drohende Schließung der von Soros mitfinanzi­erten Mitteleuro­pa-Universitä­t in Budapest zurückhält.

Nicht mehr zurückhalt­en will sich die EU-Kommission, die vorige Woche wegen des rechtsstaa­tlich fragwürdig­en Gesetzes über die Nichtregie­rungsorgan­isationen ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Ungarn einleitete.

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FOTOS: AP, REUTERS; MONTAGE: RP Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu (l.) und sein ungarische­r Kollege Viktor Orbán.
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FOTO: DPA „Lassen wir nicht zu, dass Soros als Letzter lacht“, stand auf den Plakaten der Anti-Soros-Kampagne.

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