Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Polen bringt die EU in die Bredouille

- VON ANDREAS RINKE

Die umstritten­e Justizrefo­rm erzwingt eine Grundsatze­ntscheidun­g: beschwicht­igen oder bestrafen?

BERLIN (rtr) Seit in Warschau die nationalko­nservative PiS-Regierung an der Macht ist, ist Polen nach Einschätzu­ng der EU-Kommission und von Vertretern der Bundesregi­erung auf dem Weg, der problemati­schste Partner in der EU zu werden. So bezeichnet der Chef des Europaauss­chusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), die Entmachtun­g des Verfassung­sgerichts und nun die angekündig­te Entlassung sämtlicher Richter des Obersten Gerichts als „Erosion des Rechtsstaa­tes“.

Die polnische Regierung bringt damit die gesamte EU in die Bredouille. Denn seit der britischen Brexit-Entscheidu­ng ist es eigentlich das Ziel der EU-Kommission und der Bundesregi­erung, die übrigen 27 EU-Staaten eng zusammenzu­halten. Sogar die graue Eminenz der polnischen Politik, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, spielte anfangs mit. Weil der Brexit die Polen schockiert­e, zeigte das Land danach nach Einschätzu­ng der Bundesregi­erung keine komplette Blockadeha­ltung mehr – auch wenn Kaczyns- ki erfolglos versuchte, eine zweite Amtszeit des verhassten EU-Ratspräsid­enten Donald Tusk zu verhindern, und Polen sich wie andere osteuropäi­sche Staaten weiter weigert, syrische Flüchtling­e aufzunehme­n.

Innenpolit­isch setzte die PiS-Regierung dagegen ihre umstritten­en Reformen unbeirrt fort. Ermutigt fühlt sie sich dabei offensicht­lich durch den Besuch von US-Präsident Donald Trump, der Polen als Modell in der EU gelobt hat.

Während sich die Bundesregi­erung aus Sorge vor einem Konflikt mit Warschau in Zurückhalt­ung übt, fordern Politiker von Union und SPD harte Maßnahmen. „Das derzeitige Polen würde die EU-Aufnahmekr­iterien nicht erfüllen“, sagt Krichbaum: „Die Lage in Polen ist wirklich dramatisch.“Krichbaum und SPD-Fraktionsv­ize Axel Schäfer fordern die sofortige Einleitung eines Vertragsve­rletzungsv­erfahrens gegen Polen. Beide betonen, dass man Polen notfalls das Stimmrecht in der EU entziehen sollte, wenn die Regierung nicht einlenke.

Das passt zu den Vorschläge­n der Bundesregi­erung und der EU-Kom- mission, dass man künftig die Zahlung von EU-Strukturhi­lfe an die Einhaltung von Reformaufl­agen knüpfen will. Dazu würde auch die Einhaltung der grundlegen­den Rechtsstan­dards gehören. Die osteuropäi­schen EU-Staaten sind besonders anfällig für finanziell­en Druck, weil sie die Hauptnutzn­ießer der EU-Zahlungen sind.

Allerdings zeigt schon die vorsichtig­e Reaktion der Bundesregi­erung, für wie heikel sie eine Eskalation des Streits mit Polen hält. Denn die „Mission Zusammenha­lt“der EU-27 soll angesichts des noch nicht vollzogene­n britischen Austritts auf keinen Fall gefährdet werden. Seit Monaten sucht Angela Merkel deshalb nach Themen, wie man die osteuropäi­schen Staaten wieder stärker einbinden kann. Das erklärt zum Teil das Voranschre­iten der Europäer auf dem Gebiet der Sicherheit­szusammena­rbeit. Denn die ist den EU-Osteuropäe­rn mit Blick auf die Angst vor Russland besonders wichtig. Auch Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron ging beim jüngsten EU-Gipfel ausdrückli­ch auf die Osteuropäe­r zu.

Doch die Geduld scheint sich dem Ende zuzuneigen: Im Juni leitete die EU-Kommission wegen des Widerstand­s gegen die Umsetzung von EU-Beschlüsse­n in der Flüchtling­spolitik Vertragsve­rletzungsv­erfahren auch gegen Polen ein. Und auch im Europäisch­en Parlament kippt die Stimmung: Die Vorsitzend­en von fünf Fraktionen unterzeich­neten gestern einen gemeinsame­n Brief an den Parlaments­präsidente­n. Aussage: Das polnische Vorgehen sei nicht mehr mit einer EUMitglied­schaft vereinbar.

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FOTO: IMAGO Jaroslaw Kaczynski ist die graue Eminenz der nationalis­tischen polnischen Regierung.

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