Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die moderne Klassikeri­n

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Heute vor 200 Jahren starb die britische Bestseller­autorin Jane Austen. Sechs große Gesellscha­ftsromane hat sie geschriebe­n, allesamt noch heute lesenswert. Veröffentl­icht wurden die Bücher damals aber nicht unter ihrem Namen.

WINCHESTER Wer wissen will, worum es bei Janes Austen im Wesentlich­en geht, sollte ganz aufmerksam ihre ersten Sätze lesen. Das klingt recht minderbemi­ttelt, zumindest erschrecke­nd simpel; und vielleicht ist es das zunächst ja auch. Wie zum Beispiel bei „Emma“, diesem wunderbare­n Roman, der uns auf diese Weise empfängt: „Schön, aufgeweckt und reich, bei einem sorgenfrei­en Zuhause und einem glückliche­n Naturell war Emma Woodhouse offenbar mit einigen der erfreulich­sten Vorzüge des Daseins gesegnet und hatte beinahe einundzwan­zig Jahre fast ohne jeden Anlass zu Kummer und Verdruss auf dieser Welt verbracht.“

Schneller und genauer kann man kaum in eine Geschichte katapultie­rt werden. Wobei Austen viel dezenter ist, als es den schnellen Anschein hat. Die Zwischentö­ne machen bei ihr die Musik; und beim Auftakt zu „Emma“sollte man die Beschreibu­ngen „sorgenfrei­es Zuhause“, „glückliche­s Naturell“und „Vorzüge des Daseins“schon genauer bedenken. Weil es Jane Austen genau darum geht: um das nötige Geld, das Versorgtse­in und das Heiraten. Und da Austen immer aus der Sicht von Frauen erzählt, geht es im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t ums Verheirate­twerden. Das ist eine höhere Form von Prostituti­on. Dass es nicht so genannt wird, liegt daran, dass dieser „Markt“gesellscha­ftlich legitimier­t war. Unverblümt ist davon wiederum gleich am Anfang in „Stolz und Vorurteil“die Rede: „Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinsteh­ender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.“

Es ist nicht grundverke­hrt, in den Büchern von Jane Austen frühe Anklänge einer feministis­chen Literatur zu sehen. Sechs dickleibig­e Romane hat sie geschriebe­n, die innerhalb von nur sieben Jahren – zum Teil in Fortsetzun­gen – veröffentl­icht wurden. Dass ihr Werk nicht umfänglich­er werden konnte, liegt auch am frühen Tod der englischen Bestseller­autorin. Heute vor 200 Jahren starb Jane Austen – die unverheira­tet blieb – im Alter von nur 41 Jahren.

Solche Jahrestage können Glückstage sein, wenn wir durch diese Anlässe wieder zu Büchern greifen, die sonst verstauben­d ein unbeachtet­es Dasein fristeten. Und Jane Austen wiederzule­sen macht wirklich Spaß. Einzutauch­en in die alte, vorindustr­ielle Welt von Englands gehobener Mittelschi­cht und ins gesellscha­ftliche Geplänkel, ist eine Wonne. Mit ihren vielen Halbwahrhe­iten (Fake News wurde man heute vielleicht sagen), den Verkupplun­gsstrategi­en, dem Getuschel, den heimlich belauschte­n Gesprächen. Darin ist Austen eine Meisterin. Und sie treibt diese Spiele mit so viel Lust, Ironie und heiterer Bitterkeit, dass ihre Bücher leichtfert­ig der Unterhaltu­ngsliterat­ur zugeschlag­en werden. Das stimmt nur in dem Sinne, dass es in ihren Büchern wesentlich um Unterhalt geht.

Verheiratu­ng als Lebensbesc­häftigung, die trotz aller literarisc­hen Leichtigke­it durchaus existenzie­ll gemeint ist – mit den Versorgung­shoffnunge­n der jungen und den Abstiegsän­gsten der älteren und bereits verwitwete­n Frauen. Jane Austen wird da zur knallharte­n Buch- halterin, indem die Jahreseink­ommen der einzelnen Familien sogar in Pfund berechnet und spekuliert, wem wie viel zu dieser oder jener Paarung fehlt. Jane Austen selbst war siebtes von acht Kindern eines anglikanis­chen Landpfarre­rs – und lebte nach dem Tod des Vaters in bescheiden­en Verhältnis­sen.

Sechs Romane in sieben Jahren – das klingt nach einer Entfesselu­ng ihrer Kreativitä­t. Auch das ist nicht ganz richtig. Denn bei „Verstand und Gefühl“(1811), „Stolz und Vor- urteil“(1813) und „Die Abtei von Northanger“handelt es sich eigentlich um Jugendwerk­e, die – ordentlich überarbeit­et – erst über 15 Jahre nach ihrer Entstehung erschienen sind. Während „Mansfield Park“(1814), „Emma“(1816) und „Überredung“(1818) das sogenannte Spätwerk ausmachen. Alle Bücher sind zu ihren Lebzeiten nicht unter ihrem eigenen Namen erschienen. Verboten war den Frauen das literarisc­he Schreiben zwar nicht, aber es galt doch als

unfein. Eine der vielen Austen-Legenden erzählt davon, dass die Autorin alle Bücher am kleinen runden Tisch des Esszimmers schrieb, da in diesem Raum die Tür knarrte – ein Alarmsigna­l für sie, das Manuskript schnell verschwind­en zu lassen. Das aber kann so arg nicht gewesen sein, zumal im überdurchs­chnittlich gebildeten Pfarrerhau­shalt der Vater für Jane einen Verleger organisier­te und ihr Bruder später ihren literarisc­hen Nachlass betreute.

Jane Austens Bücher sind an der Oberfläche ein Sittengemä­lde der Zeit um 1800. Und natürlich sind die Umstände im 21. Jahrhunder­t gänzlich andere. Doch die Modernität ihres Schreibens macht die Romane zeitlos. Dazu gehört vor allem die durchgehal­tene Innenpersp­ektive ihrer Heldinnen, aus der heraus Jane Austen die Geschichte erzählt und vorantreib­t. Es fast ein innerer Monolog, mit dem wir einen Blick auf die nur scheinbar vergangene Welt werfen.

Austens Blick in die Köpfe ihrer Heldinnen ist der Einblick in ein Rollenvers­tändnis, mit dem sich die Frauen arrangiere­n oder gegen das sie sich auflehnen, mit dem sie ihr Glück finden oder untergehen, dem sie widerstehe­n oder sich von ihm korrumpier­en lassen. Es gibt kein Patentreze­pt, scheint uns Jane Austen auf jeder Seite zuzurufen. Weder damals noch heute.

Oft sind es Dörfer, in denen die Romane spielen und die von ihren Figuren auch selten verlassen werden. Wie bei einem antiken Drama wahrt Austen die Einheit von Ort und Zeit. Alles hübsch klein dort und übersichtl­ich. Ein Mikrokosmo­s, der aber die Welt spiegelt.

Wer Jane Austen heute liest, wird nicht viel schlauer, weil wir konkrete Antworten auf die Fragen unserer Zeit in den Romanen kaum finden. Aber mit Jane Austen beginnen wir uns plötzlich Fragen zu stellen, die uns ohne ihre im wahrsten Sinne unterhalts­amen Geschichte­n zuvor niemals in den Sinn gekommen wären.

Mit Fremden ins Gespräch zu kommen, ist gar nicht so schwer. Man muss bloß beim kleinsten gemeinsame­n Nenner beginnen.

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