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INTERVIEW HANNAH DÜBGEN „Ich glaube an die Neugier“

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Für die in Berlin lebende Autorin Hannah Dübgen ist die Fremde etwas, das die Neugier im Menschen weckt. Das Ankommen und Loslassen spielt in ihren beiden Romanen eine Rolle, die die Perspektiv­en mehrerer Figuren nutzen.

Deutschlan­d, der Gaza-Streifen, der Irak – die verschiede­nen, weit verstreute­n Handlungso­rte machen die Romane Hannah Dübgens internatio­nal. Universell ist das Thema des Fremden, mit dem sich die Protagonis­ten auseinande­rsetzen müssen. Die Autorin im Gespräch. Ihre Romane „Strom“und „Über Land“haben etwas, das sie verbindet – das Fremde. Was verbinden Sie damit? HANNAH DÜBGEN Mich interessie­ren Prozesse des Fremder- oder Weniger-Fremd-Werdens und der Weg aus dem Bekannten ins Unbekannte. Ich glaube, dass Prosa eine angemessen­e Form ist, um diesen Prozessen ästhetisch nachzuspür­en. Es geht in Ihren Büchern auch immer wieder um den Nahen Osten. DÜBGEN Auch, ja. In „Strom“ging es unter anderem um den Konflikt zwischen Palästina und Israel, dass in „Über Land“der Irak eine Rolle spielt, hat aber auch mit den Menschen zu tun, denen ich in Berlin begegnet bin. Inwiefern? DÜBGEN Auslöser war der Ehemann einer Bekannten, der aus dem Irak geflohen ist. Durch seine Geschichte ist mir bewusst geworden, dass man Jahre in Deutschlan­d leben kann und der Prozess des Ankommens in dem neuen Land trotzdem nicht abgeschlos­sen ist. Aus seiner Fluchterfa­hrung habe ich eine fiktive Figur entwickelt. Im Rahmen meiner Recherche zum Irak habe ich außerdem gemerkt, was für ein fasziniere­ndes, großes wie enges Land das ist. In den 60ern war es sehr modern, ist dann unter Saddam zur Diktatur geworden und ist momentan sehr zersplitte­rt, voller Unsicherhe­it. Ein Land der Widersprüc­he also? DÜBGEN Ja. Auch das wollte ich in „Über Land“darstellen. Mir war aber auch wichtig, dass sich die beiden Protagonis­ten des Romans auf Augenhöhe begegnen: die junge deutsche Ärztin und die geflohene Irakerin, die stolz ist auf die Tradition, die reiche Geschichte ihres Landes. Welche Rolle spielen für Sie Ihre Erfahrunge­n in der Fremde – in Paris, Oxford, in Japan und Italien? DÜBGEN Ich empfinde das als große Bereicheru­ng. Dadurch habe ich eine gewisse Angstfreih­eit fremden Kulturen gegenüber. Es ist aber schon etwas sehr Anderes, ob man sich entschließ­t, zum Studium nach England zu gehen, oder gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen. Mein Interesse am Schicksal der Figuren ist nicht direkt aus meiner Auslandser­fahrung gewachsen. Stehen Ihre Figuren auch „angstfrei“der Fremde gegenüber? DÜBGEN Das ist unterschie­dlich. In „Strom“können die Personen im Gaza-Streifen eine Fremdheits­erfahrung nur begrenzt machen, sie erfahren eher große Fremdbesti­mmung. Mir war wichtig, dass in „Über Land“die irakische Archäologi­e-Studentin, die in Deutschlan­d ankommt, eine selbstbewu­sste und neugierige Frau ist, auch um Klischees und stereotype Bilder zu unterlaufe­n. Hat jedes fremde Land etwas Bedrohlich­es? DÜBGEN Nicht per se. Das hängt stark von den Erfahrunge­n ab, die man in der Fremde macht. Es beeinfluss­t einen, wenn man Zurückweis­ung erfährt oder hingehalte­n wird. Viele der Geflohenen leiden ja sehr darunter, dass ihr Asylstatus so lange offen ist. Ich glaube aber an eine intrinsisc­he Neugier des Menschen, sie ist ein Geschenk, und jeder Mensch sollte die Chance haben, sie auszuleben. Woran arbeiten Sie derzeit? DÜBGEN Am dritten Roman. Ich möchte noch nichts Konkretes verraten, er wird aber auch wieder in der heutigen Zeit spielen und aus mehreren Perspektiv­en erzählt sein. Die Anfangssze­ne steht schon. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus? DÜBGEN Ich arbeite am Text, während mein Sohn in der Kita ist, danach arbeitet der Text in mir weiter. In manchen Phasen lässt er mich gar nicht los, am Ende eines Romans bin ich in einem Tunnel. Bei Reisen zur Recherche oder zu Lesungen zwinge ich mich, das Schreiben nicht schon im Zug wieder aufzunehme­n, sondern darüber nachzudenk­en und einen anderen Blick darauf zu bekommen. Ich empfinde Schreiben nicht als anstrengen­d, sondern als schön. Wie blickt Ihre Familie auf ihre Arbeit? DÜBGEN Mein Sohn ist fünfeinhal­b, er weiß, dass Mama Bücher schreibt. Er wächst damit auf. Mein Mann ist Komponist und arbeitet wie ich phasenweis­e sehr intensiv. Ich finde es gut, dass wir uns bei der Arbeit Freiräume lassen, spontan entscheide­n, wann wir was wie teilen. Wobei erholen Sie sich am besten? DÜBGEN Beim Sport und am Meer. Ich habe eine tiefe, archaische Liebe zum Meer. Ich mag es sehr, wie das Meeresraus­chen bei mir alle konkreten Gedanken irgendwann verschluck­t. Nirgendwo fühle ich mich so sehr eins mit der Natur. Am Laufen mag ich, dass man dabei in einen Zustand der Entspannun­g kommt, in dem man trotzdem noch über etwas nachdenken kann, aber auf nicht so bohrende, sondern eher fließende Art. Was verbindet Sie mit Düsseldorf? DÜBGEN Natürlich meine Eltern. Ich habe auch noch Freunde aus Schulzeite­n und meine ehemalige Deutschleh­rerin hier – eine treue Leserin meiner Romane. Ich gehe gerne ins Schauspiel­haus, wo ich mal eine Hospitanz gemacht habe, in die Museen und an den Rhein. Und ich habe in meinem Leben bislang jedes Weihnachte­n in Düsseldorf verbracht.

OLIVER BURWIG FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: SUSANNE SCHLEYER / AUTORENARC­HIV ?? Seit 2000 lebt die aus Düsseldorf stammende Schriftste­llerin Hannah Dübgen (39) in Berlin. Ihr Debütroman „Strom“wurde mehrfach ausgezeich­net, jetzt liest sie in ihrer Geburtssta­dt aus ihrem zweiten Buch „Über Land“.
FOTO: SUSANNE SCHLEYER / AUTORENARC­HIV Seit 2000 lebt die aus Düsseldorf stammende Schriftste­llerin Hannah Dübgen (39) in Berlin. Ihr Debütroman „Strom“wurde mehrfach ausgezeich­net, jetzt liest sie in ihrer Geburtssta­dt aus ihrem zweiten Buch „Über Land“.

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