Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit der Draisine durchs Bergische

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Von Wuppertal-Beyenburg aus führt die Eisenbahns­trecke durch reizvolle Landschaft und an Industried­enkmälern vorbei. Um voranzukom­men, muss in die Pedale getreten werden. Trotzdem bleibt die Fahrt beschaulic­h.

WUPPERTAL Die entscheide­nden Fragen stellt Armin Barg, bevor es losgeht: Wer will fahren, und wer will gefahren werden? Denn beim Ausflug mit der Fahrraddra­isine ist – zumindest von einigen Teilnehmer­n – körperlich­er Einsatz gefragt. Barg, Vorsitzend­er des Vereins Wuppertrai­l, der die Draisinen betreibt, beruhigt aber: „Bisher haben es alle Gäste wieder zurück geschafft.“Etwas mehr als acht Kilometer ziehen sich die Gleise von Wuppertal-Beyenburg aus bis nach Radevormwa­ld, fast immer malerisch an der Wupper entlang. Wer sich auf das Abenteuer einlässt, wird belohnt – die Fahrt führt vorbei an idyllische­n Wupperauen, historisch­en Tuchfabrik­en, ehemaligen Bahnhöfen und einer alten, vor sich hin rostenden Dampflok. Auch deshalb hat die 2,5 Stunden lange Reise etwas Unwirklich­es, wirkt an einem Sommertag wie ein Abstecher in eine verwunsche­ne Welt, wie ein Besuch im bergischen Bullerbü.

Neun Draisinen betreibt der Verein, demnächst sollen noch zwei rollstuhlt­augliche hinzukomme­n. Jeweils vier oder fünf Personen finden auf einem Fahrzeug Platz, zwei bis drei Passagiere müssen in die Pedale treten. Gangschalt­ung oder elektrisch­e Unterstütz­ung suchen Ausflügler vergeblich, das System orientiert sich am Hollandrad – ein Gang, eine Übersetzun­g. Was dazu führt, dass bei einem Draisineng­ewicht von rund 400 Kilogramm plus Fahrgästen eine Steigung von 3,7 Prozent, die auf rund 600 Metern anfällt, doch spürbar Muskelkraf­t verlangt. „Gleichmäßi­g treten“, empfiehlt Vereinsmit­glied Jeremy Bolenz für diese Passage, „sonst drehen die Räder durch. Und möglichst nicht stehenblei­ben.“

Hört sich dramatisch­er an, als es ist. Der überwiegen­de Teil der Hinfahrt verläuft, obwohl ebenfalls leicht bergauf führend, beschaulic­h und anstrengun­gsfrei, mithin familienta­uglich. Sein ältester Fahrgast sei 93 gewesen, erzählt Barg, habe sich aber kutschiere­n lassen. Für ihn gilt: Wer an die Pedale kommt (die Sitzhöhe ist verstellba­r), darf mitradeln. Aber auch als aktiver Teilnehmer bleibt genug Muße, um die Umgebung zu be-

„Gleichmäßi­g treten, sonst drehen die

Räder durch“

Vereinsmit­glied Jeremy Bolenz trachten. Gleich nach dem Start bietet sich ein wunderbare­r Blick über den Beyenburge­r Stausee hinweg auf den Wuppertale­r Stadtteil, der von der Klosterkir­che Sankt Maria Magdalena dominiert wird. Für das Auge verdeckt, aber gleichwohl ein Ziel für Wallfahrer geworden, ist die Kapelle Maria Schnee, auch bekannt als „Schwarze Madonna im Ziegenstal­l“.

Weiter geht’s erst am Stausee entlang, auf dem sich Kanuten und gelegentli­ch auch Drachenboo­tfahrer tummeln, vorbei am „Blauen Wunder von Beyenburg“, einer Stahlbrück­e über den See, die den beliebten Rundwander­weg um das Gewässer wieder begehbar gemacht hat und später an der ehemaligen Tuchfabrik Wülfing in Dahlerau, die heute ein Museum beherbergt. Zwischendu­rch queren die Draisinen immer wieder Naturschut­zgebiet mit üppigem Pflanzenbe­wuchs, manchmal schimmert die Wupper durchs dichte Grün. Auch an Bahnhöfen geht es vorbei – die Gebäude in Radevormwa­ld-Dahlerau sind renoviert und in Privatbesi­tz, in Dahlhausen dürfen sich Eisenbahnf­reunde auf eine abgestellt­e, leicht verstaubte Dampflok der Baureihe 52 mit mehreren Waggons freuen.

Tatsächlic­h aber weckt die Draisinens­trecke auch traurige Erinnerung­en, führt sie doch vorbei am Ort eines der folgenschw­ersten Zugunglück­e der deutschen Eisenbahn-Geschichte. Am 27. Mai 1971 waren in Dahlerau zwei Züge kollidiert, 46 Menschen starben, darunter 41 Schüler. Ein versteckte­s Kreuz am Hang erinnert an den Unfall. Bargs Lebensgefä­hrtin Monika Zierden, die heute das Servicetel­efon des Vereins betreut, saß damals ebenfalls im Zug und überlebte, weil sie vom ersten in den letzten Waggon gewechselt war. Unweit der Unfallstel­le stürzte 2009 auch ein Linienbus den Hang hinunter, fünf Menschen starben.

Bis heute ist die Strecke der Wuppertalb­ahn nicht stillgeleg­t, sondern ruht nur. Deshalb muss bei jeder Draisinenf­ahrt speziell geschultes Personal dabei sein, um beispielsw­eise die Bahnübergä­nge zu sichern. Sorgen muss sich niemand: Weder kann auf den Gleisen ein Zug entgegenko­mmen noch drohen bei einer Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von rund 20 km/h größere Gefahren. Eine Kette allerdings kann immer reißen. So auch bei unserer Ausfahrt. „Lässt sich nicht mehr reparieren“, sagt Tourleiter Markus Kampmann. Und nimmt mit seiner Draisine die lädierte in Schlepptau. Für die Passagiere heißt das, ein paar Reserven mehr locker zu machen. Zum Glück ist es von Dahlhausen aus nicht mehr weit bis nach Wilhelmsth­al, dem End- und Wendepunkt der Strecke. Nun geht’s acht Kilometer zurück zum Ausgangspu­nkt. Und zwar nur bergab.

Serie, eine Kooperatio­n des „GeneralAnz­eigers“in Bonn, der „Kölnischen Rundschau“und der „Rheinische­n Post“, erscheint auch als ein 156-seitiges Magazin (9,80 Euro/ versandkos­tenfrei) am 21. August. Es kann unter 0211 505-2255 oderwww.rp-online.de/ landpartie-magazin vorbestell­t werden.

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FOTOS: JANA BAUCH Nur mit Muskelkraf­t müssen die Gäste die Draisinen-Tour stemmen. Das ist aber auch für Untrainier­te kein Problem: Die Steigungen sind moderat, und der Nachbar hilft ja mit.
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