Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Frau Baumann trainiert den Kopf
Die Hürdenläuferin findet, dass der Wert des mentalen Trainings in Deutschland unterschätzt wird.
LONDON Heute vor 25 Jahren saß Deutschland vor dem Fernseher und sah Dieter Baumann dabei zu, wie er in Barcelona auf der Zielgeraden zu Olympischem Gold über 5000 Meter sprintete. Der 8. August 1992 ist seither ein Datum der deutschen Sportgeschichte. Wer nun 25 Jahre später Dieter Baumanns Tochter Jackie fragt, welche Bedeutung sie diesem Tag mit Blick auf ihr eigenes Leben beimesse, der erhält eine klare, knappe Antwort: „Gar keine.“Es sind zwei Wörter, die nur auf den ersten Blick überraschen. Auf den zweiten Blick spiegeln sie einfach das wider, was Jackie Baumann von ihrem Dasein als Leichtathletin erwartet: eine eigene Geschichte zu schreiben, nicht die des prominenten Vaters um die eigene verlängern. „Vor 25 Jahren war ich ja noch gar nicht auf der Welt. Es gibt Momente in meinem Leben, die mich mehr beeindruckt haben, weil ich sie selbst miterlebt habe. Zum Beispiel der Weltrekord von Usain Bolt 2009 in Stadion in Berlin.“
Baumann ist 21 und zweifache Deutsche Meisterin über 400 Meter Hürden. Gestern Abend startete sie im Vorlauf der Weltmeisterschaft von London, schied jedoch in der enttäuschenden Zeit von 57,59 Sekunden aus.
Sie hat nicht etwa die Finger von den 5000 Metern gelassen, um nicht immer dem Vergleich mit dem Olympiasieger in der Familie ausgesetzt zu sein, sie kann den Hürden einfach einen ganz besonderen Reiz abgewinnen. „400 Meter flach sind viel anstrengender als 400 Meter Hürden. So habe ich zehn Aufgaben, die einen Rhythmus vorgeben. An jeder Hürde kann alles passieren. Jeder Favorit kann an jeder Hürde straucheln“, sagt die Tübingerin. Das fasziniert sie. Hürden überwinden, auf der Bahn – genau wie im Kopf. „Welcher Sportler grübelt nicht, wenn etwas nicht funktioniert?“Das gehört dazu. „Man darf sich darin aber nicht festfahren“, erklärt Baumann.
Die Erkenntnis, dass die Hürden beim Grübeln zuweilen zu hoch sind, um sie alleine zu überwinden, musste Baumann erst gewinnen. Aber sie gewann sie irgendwann. „Ich habe mich selbst lange Zeit dagegen gewehrt. Ich habe immer gesagt, ich bekomme das alleine hin. Aber jetzt will ich es auch gar nicht