Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Peking will die Nordkorea-Krise aussitzen

- VON JOHNNY ERLING

China hofft, dass alle Drohungen nur Säbelgeras­sel sind und verhält sich auffallend passiv. Doch die Regierung warnt, dass sie in einem Fall nicht untätig sein wird.

PEKING In vielen asiatische­n Hauptstädt­en sorgt der verbal eskalieren­de Schlagabta­usch zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump für Krisenstim­mung – außer in Peking. In China ist von Nervosität nichts zu spüren, obwohl das Land 1420 Kilometer gemeinsame Grenzen mit dem gefährlich­en Nachbarn hat. Im direkten Einzugsgeb­iet seiner drei Nordostpro­vinzen wohnen mehr als 120 Millionen Menschen. Hunderttau­sende leben nur wenige Dutzend Kilometer entfernt von den nordkorean­ischen unterirdis­chen Atomtestge­bieten, wo Pjöngjang bislang fünf Atomwaffen zur Explosion brachte.

Natürlich wissen alle Verantwort­lichen, dass die USA im Kriegsfall neben den Artillerie­geschützen an der Waffenstil­lstandsgre­nze sofort auch die Atomwaffen­lager bombardier­en würden und Chinas Grenzregio­nen bei entspreche­nder Windrichtu­ng bedroht wären. Dennoch sind bisher keine Warnungen an die Bevölkerun­g bekanntgew­orden.

Der Grund: Niemand glaubt an den Ernstfall. Die staatlich gelenkten Zeitungen dürfen nur verhalten und kommentarl­os über den Showdown zwischen Trump und Kim berichten. Blogger im Internet und in den sozialen Medien, wo sich kritische Meinungen noch artikulier­en können, nennen den angedrohte­n Angriff Pjöngjangs auf Guam einen Bluff. Wer so präzise eine Attacke vorhersagt, meine sie nicht ernst. Nordkorea-Experten wie Zhang Liangui von der Pekinger Parteihoch­schule vermuten, dass Pjöngjang die USA zur offizielle­n Anerkennun­g Nordkoreas als Atomwaffen­staat zwingen will. „Alles andere wäre Selbstmord“, sagt Liangui.

Offiziell scheint Chinas Führung, die sich zu internen geheimen Parteibera­tungen im Prominente­nbadeort Beidaihe versammelt hat, den Konflikt aussitzen zu wollen. Doch Pekings Führung fühlt sich offenbar nicht wohl damit, die Welt über seine Haltung im Ungewissen zu lassen. Die „Global Times“, das einzige von der KP-Führung tolerierte Sprachrohr nach außen, erklärte gestern: Peking sei nicht in der Lage, auf Washington oder Pjönjang mäßigend einzuwirke­n. „Wenn ihre Handlungen Chinas Interessen verletzen, wird es mit starker Hand antworten.“Das Parteiblat­t beschrieb zwei Szenarien im Kriegsfall: „Wenn Nordkorea zuerst Raketen abschießt, die US-Territoriu­m bedrohen, und die USA darauf zurückschl­agen, wird China neutral bleiben. Wenn aber die USA und Südkorea zuerst zuschlagen und das Regime stürzen wollen, wird China das verhindern“, heißt es.

Pekings Verhältnis zu Pjöngjang, dessen Bündnispar­tner es im lange zurücklieg­enden Koreakrieg (1950 bis 1953) war, ist längst zerrüttet. Ausschlagg­ebend dafür war der August 1992. China nahm zum Zorn des damals herrschend­en Kim Il Sung, der Großvater des heutigen Jungdiktat­ors Kim Jong Un, diplomatis­che Beziehunge­n mit Nordkoreas Erzfeind Südkorea auf. Diesen „Verrat“hat Pjöngjang nie verziehen. Nordkorea verwandelt­e sich zum „potenziell­en Feind“, lehrt der renommiert­e Shanghaier Historiker Shen Zhihua in seinen Vorlesunge­n.

1992 sei zugleich der Ausgangspu­nkt für die nukleare Aufrüstung Nordkoreas, sagt Shen. Von da an kühlte sich das brüderlich­e Verhältnis zu „normalen zwischenst­aatlichen Beziehunge­n“ab. Das KimRegime beschloss, Atombomben zu bauen. Im März 1993 kündigte es erstmals öffentlich an, den Atomwaffen­sperrvertr­ag aufkündige­n zu wollen. Über die von Peking initiierte­n Sechs-Parteien-Verhandlun­gen gewann Nordkorea wertvolle Vorbereitu­ngszeit zum Bau der Bombe. 2003 stieg es ganz aus dem Vertrag aus, testete 2006 seine erste Atombombe und kündigte auch die Sechs-Parteien-Gespräche auf.

Pekings Führung hielt aus Staatsund Ideologier­äson still. Wie frustriert sie über Nordkorea wirklich ist, machte schon vor Jahren die Enthüllung­splattform Wikileaks publik: In vertraulic­hen Gesprächen mit US-Diplomaten signalisie­rten hochrangig­e Pekinger Politiker, dass sie dem Regime im Falle seines Kollapses nicht zu Hilfe kommen würden. Sie seien auch an ihren Grenzen auf 200.000 bis 300.000 Flüchtling­e vorbereite­t.

Nordkoreaf­orscher wie Shen fordern, dass sich Peking aktiver um die Entschärfu­ng des nordkorean­ischen Pulverfass­es bemühen müsse. Denn es gefährde auch chinesisch­e Zukunftspl­äne, darunter den Erfolg der Seidenstra­ßen-Initiative, mit der Peking weltweit neue Märkte erschließe­n will. China dagegen glaubt, Nordkorea nicht fallenlass­en zu können. Geostrateg­isch und als Pufferstaa­t ist der Norden und der Erhalt des Status Quo für die Volksrepub­lik weiter wichtig, damit die mit Südkorea verbündete­n USA nicht vor Chinas Grenzen Stellung beziehen können.

Das Argument wiegt heute schwerer, weil Peking mit den USA so viele andere geopolitis­che Konflikte ausficht, von Washington­s Taiwan-Politik bis zum Territoria­l-Streit um das Südchinesi­sche Meer. Chinas Außenminis­terium verurteilt­e gerade die Vorbeifahr­t des US-Kriegsschi­ff John S. McCain an einer der chinesisch besetzten Nansha-Inseln schärfer als die Koreakrise. Sie warf den USA „illegales Eindringen“in Chinas Seegewässe­r vor.

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FOTO: REUTERS Anlässlich des Testflugs von Nordkoreas Interkonti­nentalrake­te „Hwasong-14“erschien diese Briefmarke mit einem undatierte­n Foto von Kim Jong Un.

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