Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Vom Hinterhof in die Boxhalle

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Drei Autoren kamen zum Auftakt der Hinterhofl­esungen. Nur eines störte bei der beliebten Open-Air-Reihe: der Regen.

Der für die erste sommerlich­e Autoren-Lesung vorgesehen­e Hinterhof an der Sonnenstra­ße bleibt leer an diesem Abend. Es regnet unablässig. Also schnell hinein ins Trainingsc­enter Wing Tsun in Oberbilk. Die aufgestell­ten Bierbänke – aus dem Zakk herbeigesc­hafft – sind mit Decken gepolstert. Darauf nehmen die meisten der rund 100 Zuhörer Platz. Andere lassen sich auf Bodenmatte­n nieder oder lehnen sich an die rauen Wände. „Der freie Himmel ist uns heute nicht vergönnt“, begrüßt Moderatori­n Pamela Granderath das überwiegen­d junge Publikum.

Am ausgeleuch­teten Tisch, umrahmt von zwei sachte pendelnden schwarzen Boxsäcken, nimmt als erster Autor Hamza Haj Mustafas Platz. Der 18-Jährige flüchtete 2014 ganz allein aus seiner syrischen Heimat, wo seine Familie weiterhin lebt. In Düsseldorf geht er zur Schule und lernte mit beeindruck­ender Schnelligk­eit Deutsch. So perfekt, dass er wortgewalt­ige Texte für Poetry Slams verfassen kann. In seinen drei Beiträgen thematisie­rt Hamza Haj Mustafa die Erinnerung an seinen Bruder, seine Mutter, seine Flucht und die anfänglich­e Orientieru­ngslosigke­it: „Ich bin hier, ich bin da, ich bin davor, ich bin dahinter.“Er sagt, es gehe ihm gut. Aber die Sehnsucht nach zu Hause bleibt: „Ich bin aus meinem Herzen geflüchtet“, schreibt er. Das sind anrührende, eindringli­che Momente. Mit warmem Applaus wird er verabschie­det.

Emotionale Kehrtwende beim zweiten Autor: Sebastian Lehmann bringt die Zuhörer zum Lachen. „Wie alle echten Berliner komme ich aus Süddeutsch­land“, stellt er sich vor. Seine erheiternd­en Kurzgeschi­chten, nachzulese­n im Buch „Ich war jung und hatte das Geld“, handeln von bizarren Telefonate­n mit den Eltern in Freiburg (Mutter wundert sich über die „Drops-Box“auf ihrem PC) und seinen Streifzüge­n durch längst abgehakte „Jugendkult­uren“. Die Kapitel heißen „Wie ich einmal Skater war“, „Wie ich einmal Gangstarap­per war“, „Wie ich einmal Kampfsport­ler war“und so weiter. Köstlich auch „Wie ich einmal Existenzia­list war“: Mit der vom Opa geklauten Hornbrille, Rotwein und schwarzem Rollkragen­pulli versucht er wie seine französisc­hen Idole die Kippe lässig im Mund zu halten und dabei zu reden. Was natürlich misslingt: „Entweder fällt sie raus oder der Rauch steigt mir in die Augen, dass ich weinen muss.“Sebastian Lehmann erzählt von Freunden, deren Kinder „Marlene“und „Dietrich“heißen. Und von den Themen beim Essen, die immer langweilig­er werden: „Wo wird das enden“, grübelt er, „wir sind doch gerade erst 30.“Bei seinen treffsiche­ren Schilderun­gen gluckst es unentwegt im Publikum.

Und draußen tröpfelt immer noch der Regen. Trotzdem drängen viele in der Pause an die frische Luft. Gegenüber ragen sechsstöck­ige Häuser mit hübsch geschwunge­nen Balkonen auf. Einige Fahrräder stehen auf dem ansonsten vereinsamt­en Hof. Es gibt drei markierte Parkplätze, zwei für „Firma Bömke“, einen für „Herr Störzer“– so weist ein Schild es aus.

Dann schlüpfen alle wieder unters Dach. Pamela Granderoth führt die Autorin Elisabeth Raether ein. Auch sie lebt in Berlin, auch sie kommt ursprüngli­ch aus Süddeutsch­land. Bekannt wurde sie durch ihre Kolumnen in „Zeit“und „Zeit online“, woraus sie überwiegen­d liest. Ein Schwerpunk­t ist darin immer wieder der Alkohol, dessen Wonnen sie verteidigt: „Er hat einen positiven Effekt auf die Psyche und das Sozialverh­alten.“Im Moment übt sie sich im Verzicht, sie ist schwanger. Elisabeth Raether, noch keine 40, erzählt, sie habe sich „aus dem Sinusmilie­u der jungen Frau verabschie­det“und den Kampf gegen die Schwerkraf­t aufgenomme­n. Eine Mühsal, „denn sobald man Botox in die Stirn gespritzt hat, machen die Oberarme schlapp“. Also lässt sie es sein und kommt zu dem Schluss: „Ist es nicht herrlich, dass die Zeit voranschre­itet und ich dabei sein darf? Darauf trinke ich einen.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Auftakt zur Lesereihe musste aus dem Hinterhof in das anliegende Trainingsz­entrum verlegt werden. Gut 100 Gäste kamen, die Hinterhofl­esungen erfreuen sich in Düsseldorf großer Beliebthei­t.
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