Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„ Perfektion­isten sind arme Schweine“

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Das Apollo-Theater unter der Kniebrücke besteht seit 20 Jahren. Der Gründer erinnert sich an die Anfänge und großen Veränderun­gen.

Wenn der kleine Bernhard rebellisch war und nicht lernen wollte, schimpfte seine Mutter: „Du endest noch im Zirkus oder unter der Brücke!“– erzählt Bernhard Paul. Beides traf ein. Und auf beides kann er stolz sein. 1976 erfand der Österreich­er mit seinem Landsmann André Heller den Circus Roncalli und erschuf eine Welt der Fantasie und der Poesie. Zwei Jahrzehnte später gründete er das Apollo-Varieté und ließ sich unter der Kniebrücke in Düsseldorf nieder. Mit der Jubiläums-Show „Jubilé à Paris“begeht der Visionär (70) jetzt den 20. Geburtstag seines Theaters – Anlass für Rückschau und Ausblick. Wie kam es 1997 zu diesem architekto­nisch ausgefalle­nen Bau? PAUL Ohne Johannes Rau wäre das Apollo nie denkbar gewesen. Der damalige Ministerpr­äsident kannte meinen Wunsch, nach dem Berliner Wintergart­en und dem Stuttgarte­r Friedrichs­bau ein drittes Varieté zu eröffnen, diesmal im Rheinland. Die Idee mit dem ungenutzte­n Brückenwin­kel war von ihm, er hatte ihn an seinem Amtssitz täglich vor Augen. „Nimm den, dann brauchst du kein Dach“, bestimmte er und fädelte ruckzuck alles ein. Konnten Sie Ihre Ideen umsetzen? PAUL Nicht alle. Reine Nostalgie, wie ich sie mir wünschte, war in dem Neubau nicht machbar. Das Foyer musste modern sein. Aber sobald man die Treppe runterstei­gt, darauf bestand ich, wird es plüschig. Wie es sich gehört. Viel Rot, Gold und Messing. Was fasziniert Sie am Varieté? PAUL Die wunderbare Tradition, die prächtigen Säle in den Metropolen der Welt. Das Varieté ist der kleinere, feinere und etwas dekadenter­e Bruder des Zirkus. In Deutschlan­d war es praktisch tot. Ich hatte große Lust, es aufzuwecke­n. Auch weil ich spürte, welche Impulse vom Circus Roncalli ausgingen. Schon da deutete sich eine neue Blüte an. Wie unterschei­den sich Apollo-Theater und Roncalli? PAUL Das Apollo ist mit seinem intimen Rahmen auch eine Art Probebühne, auf der sich Artisten hervorrage­nd bewähren können. Im Zirkus verpflicht­e ich sie für zwei Jahre. Eine Nummer, die nicht gefällt, kann ich im schneller rotierende­n Variete-Programm leichter austausche­n. Und manches passt einfach nicht in die Manege – wie die meisten Zaubertric­ks, die brauchen einen abgeschirm­ten Hintergrun­d. Hat sich der Publikumsg­eschmack mit den Jahren verändert? PAUL Gemächlich­e Nummern funktionie­ren nicht mehr. Alles muss temporeich und kurz sein. Pic, der berühmte Clown mit den Seifenblas­en, könnte keine 13 Minuten mehr auftreten. Wenn ihnen etwas zu lange dauert, gehen die Leute nicht mehr mit. Sie schalten ab und tippen in ihr Smartphone. Bedauern Sie eigentlich diesen Wandel? PAUL Ach was. Man spielt doch auch verschiede­ne Gesellscha­ftsspiele. Ist Schnelligk­eit angesagt, nehme ich eben zwei Nummern mehr ins Programm. Ich bin ständig auf der Suche nach spannenden Künstlern, dabei hilft mir das Internet. Was ich da für Inspiratio­nen finde, herrlich! Man mag die Technik verfluchen, aber ein Leben ohne Computer und Handy – unvorstell­bar. Ein Klick, und ich kriege alles. Die künstleris­che Leitung im Apollo haben Sie Ihrem Sohn Adrian übertragen. Also doch ein bisschen müde? PAUL Nein, ich habe das nicht gemacht, um den Kopf frei zu kriegen. Ich glaube, dass wir von jungen Menschen viel lernen können – was sie mögen, was ihnen wichtig ist. Meine zwei Töchter habe ich in den Circus Roncalli eingebunde­n. Sie bringen mir bei, Zeitströmu­ngen und Einflüsse besser zu verstehen. Das hält mich jung. Ein großes Glück, alle drei Kinder um sich zu haben! PAUL Sie wollten das, gedrängt habe ich keinen. Ihr Leben im Zirkus empfanden sie immer als Paradies. Was auch stimmt, es ist ein Biotop, eine heile Welt. Jetzt sitzen sie zu dritt in einem Fahrzeug und steuern es in eine Richtung. Steigt einer aus, fährt es trotzdem weiter. 20 Jahre Apollo, was denken Sie im Rückblick? PAUL Dass die Zeit irrsinnig schnell vergeht. Mich freut das Jubiläum, aber ich bin ein Mensch, der nie zufrieden ist. Immer sehe ich, was gerade falsch ist. Perfektion­isten sind arme Schweine. Feiern werden Sie trotzdem, oder? PAUL Mit Vergnügen! Anfang September bauen wir am Theater einen französisc­hen Markt auf, dazu stelle ich einige historisch­e Zirkuswage­n aus meiner Sammlung aus. Was schön ist: In Düsseldorf residieren wir bekanntlic­h am Apollo-Platz 1. Und seit August gibt es an unserem Kölner Stammsitz die Roncalli-Straße. Diese Adressen werden mich überleben. REGINA GOLDLÜCKE FÜHRTE DAS INTERVIEW

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FOTO: DPA Bernhard Paul, Chef des Apollo-Theaters.

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