Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Technik für den Überwachun­gsstaat

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Vom großen Datenschat­z des FBI können deutsche Sicherheit­sbeamte bislang nur träumen. Die amerikanis­che Strafverfo­lgungsbehö­rde kann nach Angaben der Zeitung „The Guardian“auf eine Datenbank zurückgrei­fen, in der Fotos von etwa der Hälfte der Bewohner der USA abgespeich­ert sind – also unabhängig davon, ob sie sich schon einmal etwas haben zuschulden kommen lassen. Für das, was die Bundespoli­zei auf Geheiß von Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) derzeit im Berliner Bahnhof Südkreuz erprobt, wäre eine solche Gesichter-Datei aus Ermittlers­icht Gold wert. Und sie wäre der reine Albtraum aller Datenschüt­zer.

Bereits vorhandene Überwachun­gskameras erfassen seit Anfang August die Gesichter aller Menschen, die den Bahnhof an markierten Türen betreten oder eine der Haupttrepp­en zu den Bahngleise­n benutzen. Eine spezielle Software gleicht in Echtzeit die Videobilde­r mit einer Foto-Datenbank von rund 300 Testperson­en ab. Entdeckt sie einen der Freiwillig­en in der Menge, erscheint auf dem Computer der Bundespoli­zei im Obergescho­ss des Bahnhofs eine Meldung. Um zu überprüfen, wie zuverlässi­g die Software arbeitet, haben die Probanden für die sechsmonat­ige Testzeit einen Funksender dabei. So können die Polizeibea­mten abgleichen, ob das Gesicht der Person jedes Mal erkannt wurde, wenn sie sich im Bahnhof aufhielt. Das Besondere: Erstmals wird damit in Deutschlan­d unter Alltagsbed­ingungen Überwachun­gstechnik mit Gesichtser­kennung erprobt. Bewährt sie sich, könnte sie flächendec­kend in der Bundesrepu­blik zum Einsatz kommen, sagte de Maizière gestern am Südkreuz.

Nimmt der Bundesinne­nminister damit Kurs auf einen Überwachun­gsstaat? Das befürchten Datenschüt­zer, Grüne und Liberale. So sagte FDP-Chef Christian Lindner, die Gesichtser­kennung sei Symbolpoli­tik, um von großen Defiziten in der Sicherheit­spolitik abzulenken. Die große Koalition greife immer in Privatsphä­re und Freiheit ein, und am Ende kassierten Gerichte die Maßnahme, erklärte Lindner. De Maizière wies das strikt von sich. Getestet werde, ob die Fahndung per Videokamer­a nach Terroriste­n, Gefährdern und schweren Straftäter­n verbessert werden könne. Wenn dies gelänge, handele sich um einen „unglaublic­hen Sicherheit­sgewinn“, sagte er. Sein Ziel: Die Software soll künftig die Videobilde­r mit der Fahndungsk­artei der Polizei abgleichen und so bei der Suche nach Schwerverb­rechern helfen. Bei der Bundespoli­zei hieß es, im Fall des Berliner Attentäter­s Anis Amri hätte eine solche Technik durchaus Erleichter­ungen bringen können. Um den gewöhnlich­en Taschendie­b gehe es ohnehin nicht.

Dennoch steht die Befürchtun­g im Raum, dass mit der Gesichtser­kennung ein Damm bricht. Schließlic­h kommt damit ein entscheide­nder Unterschie­d zur bisherigen Videoüberw­achung: Algorithme­n berechnen individuel­le Gesichtsme­rkmale, um Personen eindeutig zu identifizi­eren, Echtzeit-Videoüberw­achung wird biometrisc­h. Bisher war die Täterident­ifizierung mühselige Ermittlung­sarbeit anhand gespeicher­ter Überwachun­gsbilder zumeist nach einer Straftat.

Wer einen Blick auf die Internetse­iten der drei derzeit am Test beteiligte­n Software-Hersteller wirft, stößt auch noch auf andere Geschäftsb­ereiche, in denen Gesichtser­kennung zum Einsatz kommt: Zugangssch­ranken zu geschützte­n Mitarbeite­rbereichen etwa, Gesichtser­kennung zur Analyse gespeicher­ter Videodatei­en – und Werbung.

Tatsächlic­h ist die Technik bei Marketings­trategen längst ein beliebtes Instrument, um Produkte zu verbessern. So kommt Gesichtser­kennungsso­ftware zum Einsatz, um Werbespots auf ihre Wirkung hin zu prüfen. Während potenziell­e Kunden den Clip schauen, wird ihre Mimik gescannt. Reagieren sie nicht wie gewünscht, wird der Film geändert. Ähnlich ging die Supermarkt­kette Real vor. Sie setzte in 40 Filialen Software ein, um Kundengesi­chter zu analysiere­n. Erfasst wurde der Zeitpunkt und die Dauer der Betrachtun­g von Werbebilds­chirmen, die Anzahl der Betrachter, ihr geschätzte­s Alter und das Geschlecht. Das Ziel: Die Interessen der Kunden besser verstehen, um die Werbung individuel­ler und besser zu machen. Nach Beschwerde­n musste der Konzern diese Praxis aber wieder einstellen.

Wie viel Potenzial in der Technik steckt, zeigt jedoch auch das Beispiel der Autoindust­rie. So hat ein kalifornis­ches Startup aus dem Silicon Valley ein Programm konzipiert, das mittels einer Kamera im Auto den Fahrer überwacht. Köpertempe­ratur, Herzschlag, all das wird aufgezeich­net. So lassen sich sogar Bewegungen des Gesichts vorhersehe­n, auch Müdigkeit erkennen. Autounfäll­e sollen so verhindert werden.

Doch damit nicht genug. Gesichtser­kennung spielt auch in der Psychologi­e eine immer größere Rolle. Das Verhalten von Menschen und ihre Denkmuster lassen sich teils anhand von Mikrobeweg­ungen im Gesicht ablesen. Für das menschlich­e Auge bleiben diese oft verborgen. Computerge­steuerte Scans aber werden immer besser darin, diese Bewegungen zu interpreti­eren. Schätzunge­n zufolge beläuft sich mittlerwei­le der Markt für Gesichtser­kennungste­chnik auf drei Milliarden Dollar allein in den USA, bis 2021 könnte er auf sechs Milliarden Dollar anwachsen.

Bahnbreche­nd ist dabei auch der Einsatz solcher Technik in Smartphone­s. Zwar ist diese nicht so leistungss­tark wie jene der Bundespoli­zei am Bahnhof Südkreuz. Aber es gibt bereits Apps, mit denen man anhand eines Foto einer Person deren Nutzerprof­ile in sozialen Netzwerken ausfindig machen kann. Der Mensch wird gläserner, der Einsatz der Technik immer breiter. Und neue Gesetze zum Schutz der Persönlich­keit ziehen meist mit Verspätung hinterher.

Verhalten von Menschen und Denkmuster lassen sich teils anhand von Mikrobeweg­ungen

im Gesicht ablesen.

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