Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Großer Aufschlag zum Spielzeitbeginn
lichkeit. Musikerin Julia Klomfaß unterlegt alles mit sphärischen Klängen, die traumwandlerische Entrückung bieten, statt Spannung zu schüren.
Als Dorfrichter Adam morgens in Huisum aufwacht, ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Seine FeinrippUnterwäsche ist blutverschmiert, am Kopf schmerzen Platzwunden, die Amtsperücke ist nicht auffindbar. Ausgerechnet jetzt taucht Gerichtsrat Walter (Christopher von und zu Lerchenfeld, früher: Wintgens) auf, um ihm auf die Finger zu gucken. Der ist eigentlich ein freundlicher, wohlgesonnener Zeitgenosse. Aber es dämmert ihm bald, dass dieser Adam keine weiße Weste hat. Und Licht, ein dienstbeflissener Gerichtsschreiber (Paul Steinbach) genießt es, tröpfchenweise Öl ins Feuer der Erkenntnis zu träufeln, damit die Machenschaften Adams auffliegen. Wie Winzen, Lerchenfeld und Steinbach die immer aberwitzigeren Wendungen der Lügengeschichte nehmen und sich dabei die Bälle zuspielen, ist ein Vergnügen und hat Witz. Hier werden Fakten aufgedeckt und verdreht, auf links gewendet und an anderer Stelle wieder ans Licht geholt. Cirpici tut gut daran, auf Anspielungen an die Gegenwart zu verzichten, er setzt auf Allgemeingültigkeit: Um die Personifizierung von Machthabern geht es ebenso wenig wie um die Frage, wer den Krug zerdeppert hat, sondern um das ewige Thema Macht und Amtsmissbrauch, um private Lüste und öffentliche Pflichten, um den Sündenfall Adams.
Sigi Colpes sparsames Bühnenbild ist effektiv. Hinter den Fenstern und Türen einer dunklen Holzwand sind die Leichen aus Adams Keller verborgen. Eine Kamera offenbart dem Publikum, wo der korrupte Richter seine Wurst- und Weinvorräte hortet, und entlarvt seine Worte, mit denen er sich ins günstigste Licht rücken will. Winzens Mimik spiegelt wunderbar, wie sich die Schlinge um den Richterhals allmählich enger zieht.
Nur knappe anderthalb Stunden braucht es, bis die Geschichte aufgedeckt ist. Das rasante Tempo tut dem Stück gut. Und die Schauspieler sind immer auf dem Punkt, alle Figuren leuchten in vielen Farben: Eva Spott ist eine resolute Frau Marthe, die den Ruf ihrer Tochter gewahrt, aber mehr noch den zu Bruch gegangenen Krug gesühnt haben will. Henning Kallweit (Rupert) und Michael Ophelders (als sein Vater Veit Tümpel) sind redliche Sucher nach der Wahrheit, und Esther Keil gibt der Zeugin Frau Brigitte lustvoll das Gesicht einer im Leben zu kurz Gekommenen, die beim Auftritt vor Gericht ihre fünf Minuten Ruhm auskostet.
Als sich am Ende alles auflöst, flüchtet sich Adam in sein Bett. In Feinripp-Unterwäsche schläft er selig, getragen von der Musik Julia Klomfaß. Nur ein Traum? Oder alles zurück auf Anfang für Adams nächsten Sündenfall. Das Publikum ap- plaudierte begeistert.
Schon tags zuvor erlebten die Zuschauer in der Fabrik Heeder ein Spiel zwischen den Zeit- und Wirklichkeitsebenen bei „ Deine Liebe ist Feuer“. Rafat Alzakout hat das Stück seines syrischen Landsmannes Mudar Alhaggi als deutschsprachige Erstaufführung auf die Studiobühne geholt – und es dem Publikum nahe gebracht. Nicht nur durch die Sitzreihen, die in U-Form dicht an das mit Patronenhülsen markierte Spielfeld gerückt waren, das Lydia Merkel mit kaum mehr als einem Sofa, einer Matratze und einer symbolträchtigen Uhr ohne Zeiger ausgestattet hat. Carolina Schupa, Vera Maria Schmidt, Philipp Sommer und Adrian Linke lieferten ein berührendes Kammerspiel: Zwei junge Frauen leben in Damaskus auf engstem Raum zusammen. Der Verlobte der einen kommt überraschend auf Fronturlaub. Sie können das Zimmer nicht verlassen, weil vor der Tür der Krieg zwischen den AssadAnhängern und den Gegnern des Regimes tobt. Die Welt draußen zeigt eine Videowand: Bilder und Youtube-Szenen aus Politik, von Gipfeltreffen mit Merkel, Obama und Putin, Demos und Assads Ansprachen und dazwischen Fußballspiele machen klar: Das ist der Alltag in Syrien. Der Krieg ist gefährlich – und Normalität.
Intendant Michael Grosse
Nicht nur Granaten und Gewehre bedrohen das Leben. Auf den wenigen Quadratmetern beginnt auch die psychische Sezierung von Beziehungen: Das Paar, das die kurze kostbare Zeit nicht ungestört genießen kann, die Freundinnen, deren Zukunftspläne von der Flucht durch den pflichtbewussten Soldaten unterminiert werden, der seine Familie nicht zurücklassen will – jede Menge Zündstoff. Lebenshunger und Verzweiflung sind greifbar, auch die Radikalität, mit der Krieg die Seele tötet. „Bewusstsein ist hart. Es braucht Mut“, heißt es.
Mudar Alhaggis Text ist raffiniert, weil er weder auf Mitgefühl noch auf Schockwirkung zielt. Im Gegenteil: Er macht klar, dass das Stück eine Fiktion ist. Denn immer, wenn die Drei im Apartment keinen Ausweg mehr sehen, stoppt die Handlung. Dann wird der Autor (Linke) eingeschaltet und soll klären, wie es weitergeht. Der sitzt inzwischen in einem Flüchtlingslager in Deutschland und hat ebenfalls alle Hoffnung verloren. Das ist düster – und es berührt, weil die Figuren bei allen Eskalationen und Deeskalationen einen Galgenhumor zeigen, der sie sehr menschlich macht und doch den gallenbitteren Beigeschmack ihrer Situation nicht verhehlt. Schmidt und vor allem Schupa geben hier ein so frisches Debüt und gehen so ganz in ihren Charakteren auf, dass man sich auf weitere Rollen freut. Linke und Sommer bestätigen ihre Klasse. Das Publikum feierte sie mit anhaltendem Applaus – viel Beifall auch für Inszenierungsteam und Autor Alhaggi. Unbedingt sehenswert.
„Das ist unser Beitrag zum
Thema ,alternative
Fakten’“ bei der Premierenfeier zu
„Der zerbrochne Krug“