Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gehen Sie wählen, demokratis­ch bitte!

- VON EVA QUADBECK VON JOCHEN WITTMANN

Die Bundestags­wahl ist das Hochamt der Demokratie. Für 2017 gilt das in besonderem Maße. Denn es geht um mehr als die Frage, ob sich die Politik der kommenden vier Jahre eher links oder eher bürgerlich ausrichtet. Zur Abstimmung steht auch unsere politische Kultur.

Nach einem Wahlkampf, in dem eine lautstarke Minderheit Schreien, Pöbeln und Pfeifen an die Stelle von Argumenten gesetzt hat, ist ein Signal der Mehrheit für Parteien, die zur konstrukti­ven Zusammenar­beit bereit sind, umso wichtiger. Bei dieser Wahl geht es auch darum, die Grundfeste­n der freien Gesellscha­ft und der liberalen Demokratie gegen jene zu verteidige­n, die diese mit autoritäre­r Haltung, Ausgrenzun­g und engem Denken bedrohen.

Schauen wir auf unsere Nachbarn: Wie ratlos sind die Briten heute, die sich von Rechtspopu­listen in die Sackgasse des Brexit haben führen lassen. Welche Aufbruchst­immung herrscht hingegen in Frankreich, wo sich die Menschen mit Präsident Macron für eine offene Gesellscha­ft entschiede­n haben. Sie haben auch dafür gestimmt, nicht den Verheißung­en scheinbar einfacher Lösungen zu folgen, sondern ihre Probleme selbst zu lösen – so mühsam das ist.

Bundespräs­ident Steinmeier bezeichnet­e die Demokratie vor wenigen Tagen als „politische­n Lernprozes­s“. Steinmeier hat recht. Wer mehr verspricht, sagt nicht die Wahrheit. Es geht also am Sonntag darum, der Partei seine Stimme zu geben, deren Führungspe­rsonal man am ehesten zutraut, diesen Lernprozes­s zu vollziehen angesichts der Zukunftsau­fgaben von Digitalisi­erung, Bildung, Pflege, Rente, Job-Sicherung, Staatsfina­nzen und internatio­naler Einbindung.

Die neue Regierung wird es voraussich­tlich mit einer neuen Art der Opposition durch die AfD zu tun haben. Mit der AfD wird auch ein Stück Pöbel-Wahlkampf ins Parlament einziehen. Die übrigen Parlamenta­rier sollten die Größe besitzen, den Neuen ihre durch demokratis­che Wahlen erworbenen Rechte nicht durch Tricks zu verwehren. Nur wenn sich die AfD nicht länger in die Opfer-Rolle begeben kann, gibt es die Chance, sie politisch zu entlarven.

Die Floskel „Jede Stimme zählt“kann man am Ende eines Wahlkampfs nicht mehr hören. Richtig ist sie dennoch. Wo sich in der freien westlichen Welt bislang Rechtspopu­listen durchsetze­n konnten, waren die Entscheidu­ngen immer knapp – wie bei Trump und beim Brexit. Es ist also wichtig, mit seiner Stimme die Demokratie zu stärken. Denn eine weltoffene Politik bedroht nicht unseren Wohlstand – eine irrational­e Staatsführ­ung tut dies sehr wohl. BERICHT FÜR DEN NEUEN BUNDESTAG WIRD ES ENG, SEITE A4

Theresa May enttäuscht

Mit ihrer Rede in Florenz wollte Premiermin­isterin Theresa May den Stillstand in den Brexit-Verhandlun­gen beenden. Aber es ist fraglich, ob ihre Konzession­en reichen werden, um ihre Amtskolleg­en zu überzeugen. Die Regierungs­chefs der EU werden sich im Oktober zu einem Gipfel treffen und entscheide­n müssen, ob genügend Fortschrit­te gemacht wurden, um die Verhandlun­gen in die nächste Phase eintreten zu lassen. Was Theresa May in Florenz anzubieten hatte, war vor allem Stimmungsm­usik, aber wenig Handfestes.

Immerhin wird man auf europäisch­er Seite zustimmend zur Kenntnis genommen haben, dass Großbritan­nien jetzt wenigstens bereit ist, seinen Mitgliedsb­eitrag von rund 20 Milliarden Euro für eine Übergangsp­hase nach dem Brexit zu zahlen. Aber was ist mit den restlichen EU-Forderunge­n? Großbritan­nien wird in den Brüsseler Gesprächen sehr viel konkreter werden müssen. Von der FlorenzRed­e der Premiermin­isterin war im Vorfeld viel mehr erwartet worden. Viel Zeit bleibt nicht mehr, wenn man zu einem Deal kommen will. Die Uhr tickt. BERICHT MAY PLANT DEN BREXIT AUF RATEN, SEITE A5

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