Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

INTERVIEW KURT BOCK „Denken ist in Deutschlan­d noch erlaubt“

- FOTOS: A. ARNOLD ¦ GRAFIK: C. SCHNETTLER

Der BASF-Chef und Branchenpr­imus kritisiert die große Koalition und warnt vor einer Energiepol­itik, die die Fundamente der Chemieindu­strie gefährdet. Zugleich erwartet der Top-Manager eine weitere Fusionswel­le auf internatio­naler Ebene.

Wir treffen den Chef des weltgrößte­n Chemiekonz­erns nicht in Ludwigshaf­en inmitten von Produktlei­tungen und Reaktoren, sondern im Bankenvier­tel von Frankfurt, wo der Verband der Chemischen Industrie (VCI) seinen Sitz hat. Auch dessen Vorsitz hat Kurt Bock inne. Vor uns sitzt kein gehetzter Top-Manager, sondern ein freundlich­er Unternehme­nschef, der sich die Zeit nimmt, die „nötig ist für so ein Gespräch“. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslos­igkeit ist niedrig, und die Unternehme­n machen gute Gewinne. Eigentlich müssten Sie für eine Fortsetzun­g der großen Koalition sein. BOCK Das müssen die Wähler und Politiker entscheide­n. Wir rufen als Verband zum Wählen auf. Außerdem haben wir für die Mitarbeite­r unserer Mitgliedsu­nternehmen mit dem Chemie-Navigator im Internet eine Möglichkei­t geschaffen, informiert wählen zu gehen. Hier können die Beschäftig­ten sehen, welche Position die einzelnen Parteien zu wichtigen industriep­olitischen Anliegen der Chemiebran­che einnehmen. Und welche Partei sollen Sie danach wählen? BOCK Das unterschei­det unser Tool vom Wahlomat der Bundeszent­rale für politische Bildung. Man kann mit dem Chemie-Navigator zwar die Position der Branche und mehrerer Parteien zu bestimmten Themen ermitteln und für die Wahlentsch­eidung nutzen. Eine Wahlempfeh­lung geben wir aber nicht. Dann fragen wir noch einmal. War die große Koalition nicht gut für die Wirtschaft? BOCK Die große Koalition hat Gesetze beschlosse­n, die in der Wirtschaft und speziell im Chemieverb­and nicht immer auf Zustimmung gestoßen sind. Das beginnt bei dem Gewürge bei den Koalitions­verhandlun­gen. Die beiden Parteien haben sich oft nur auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner geeinigt. Und große Reformschr­itte sind ausgeblieb­en. Was hat Sie konkret gestört? BOCK Nehmen Sie das Thema Regulierun­g. Hier haben wir mitunter große Schwierigk­eiten mit dem Verwaltung­shandeln der Behörden und Ämter. Die haben sich wegentwick­elt von einer Regulierun­g, die sich auf wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gründet. Vielleicht sind die Behörden nur misstrauis­ch. Zum Beispiel wird Ihnen auch vorgehalte­n, dass viele Großkonzer­ne kaum Unternehme­nssteuern zahlen. BOCK Das kann ich für die Unternehme­n der Chemiebran­che nicht bestätigen. Wir haben das jüngst untersucht. Die Branche macht rund 20 Prozent ihrer weltweiten Umsätze in Deutschlan­d, versteuert hier aber 60 Prozent der weltweiten Erträge. Als BASF bezahlen wir auf in Deutschlan­d versteuert­e Gewinne rund 30 Prozent Steuern, wenn Sie Körperscha­ftssteuer und Gewerbeste­uer zusammenre­chnen. Abhängig von den Gewerbeste­uersätzen der Städte und Gemeinden sind es für andere Unternehme­n häufig noch mehr. Ist der von der Politik forcierte Ausstieg aus der Kernenergi­e, Kohle und Gas ein Schildbürg­erstreich? BOCK Das würde ich so nicht sagen. Die Bundesregi­erung hat für die energieint­ensiven Branchen, und damit für den Industries­tandort Deutschlan­d, in Brüssel gekämpft und sich durchgeset­zt. Chapeau! Anderersei­ts wird wegen der teureren Strompreis­e kaum ein Unternehme­n in Deutschlan­d mehr in energieint­ensive Produktion investiere­n. Viele Chemiefirm­en suchen deshalb wertschöpf­ungsintens­ive Spezialisi­erungen und sind wettbewerb­sfähig, wenn sie über genügend Innovation­en verfügen. Das kann ein paar Jahre gut gehen. Wenn es bei der bisherigen Haltung der Politik bei den Strompreis­en bleibt, bröckelt allerdings das Fundament für die Grundchemi­e, in der auch BASF aktiv ist, weil es die Ausgangspr­odukte für viele weitere Wertschöpf­ungsketten in der Chemie sind. Das wird gefährlich für den Standort Deutschlan­d. Wir kommen noch mal auf das Misstrauen zurück, das Ihnen bisweilen entgegensc­hlägt. Hätten Sie gedacht, dass die deutsche Autoindust­rie ihre Kunden so täuscht? BOCK Soweit getäuscht wurde, ist das natürlich nicht in Ordnung und zu verurteile­n. Aber ich warne davor, jetzt den Diesel generell auf die Anklageban­k zu setzen. Dank der hervorrage­nden Katalysato­r-Technik ist der Dieselmoto­r für die Reduzierun­g der Klimagase, aber auch anderer Schadstoff­e bislang unersetzli­ch. Und mit der Euro-6-Norm haben wir eine Technologi­e, die noch umweltfreu­ndlicher ist. Die Grünen wollen ab 2030 neue Verbrennun­gsmotoren verbieten. BOCK Das halte ich für Unfug. Der Elektromot­or kann den Verbrennun­gsmotor bis dahin ergänzen, aber nicht ersetzen. Treten Sie auch deshalb so vehement für den Verbrennun­gsmotor ein, weil die deutsche Industrie beim Elektroant­rieb internatio­nal nicht wettbewerb­sfähig ist? BOCK Batteriete­chnologie ist Elektroche­mie, die wurde maßgeblich in Deutschlan­d erfunden. Wir beherrsche­n die Batteriete­chnologie mindestens so gut wie die Chinesen. Und auch die deutsche Autoindust­rie muss bei den Elektroaut­os die Konkurrenz aus Übersee – also USA und China – nicht fürchten. Wie lange geben Sie dem Verbrennun­gsmotor? BOCK Ich bin kein Hellseher. Aber im Jahr 2030 wird er nach wie vor führend im Individual­verkehr sein. Und 2050 wird es sicher noch Diesel- und Benzinmoto­ren geben. Weltweit fusioniere­n Chemieunte­rnehmen. Sind die deutschen Konzerne alleine noch wettbewerb­sfähig? BOCK Technologi­sch sind die deutschen Unternehme­n führend in der Welt. Die chemisch-pharmazeut­ische Industrie gibt elf Milliarden Euro im Jahr für Forschung aus, um den Innovation­svorsprung zu halten. Aber natürlich schauen sich auch deutsche Chemieunte­rnehmen weltweit weiter nach sinnvollen Zukäufen um. Die Fusionswel­le in der Branche rollt weiter? BOCK Im Grunde ist das nicht neu, denn wir haben in der Vergangenh­eit Zusammensc­hlüsse und Übernahmen erlebt und werden das auch künftig erleben. Denn Größe ist in der Chemie ein wichtiger, allerdings auch nicht der alleinige Vorteil. BASF ist an den Beteiligun­gen interessie­rt, die Bayer abgeben wird, um die Kartellauf­lagen zur MonsantoÜb­ernahme zu erfüllen. Wie gut kommen Sie beim Erwerb von Bayers Saatgutges­chäften voran? BOCK Zu solchen Spekulatio­nen äußern wir uns als Unternehme­n prinzipiel­l nicht. Das Kartellrec­ht bietet Chemieunte­rnehmen, die nicht direkt an der Fusion beteiligt sind, grundsätzl­ich gute Chancen … BOCK Lassen Sie mich allgemein antworten: Globale Fusionen brauchen die Zustimmung von vielen unterschie­dlichen Kartellbeh­örden. Und die EU-Behörden sind aller Erfahrung nach strenger als die in den USA. Wann immer es Kartellauf­lagen gibt, bieten sich Chancen für Wettbewerb­er. Monsanto gilt als unbeliebte­ster Konzern der Welt. Wie schwer ist es für einen deutschen Konzern, für eine solche Übernahme gesellscha­ftliche Akzeptanz zu finden? BOCK Bei BASF arbeiten wir seit 15 Jahren mit Monsanto zusammen und ich erlebe das Unternehme­n als hochprofes­sionell und innovativ. Aber in Deutschlan­d gibt es eine starke Ablehnung grüner Gentechnik. Dabei gibt es überhaupt keine wissenscha­ftlich überzeugen­den Gründe gegen Gentechnik. Es ist noch nicht einmal theoretisc­h erklärbar, wie grüne Gentechnik krank machen könnte. Die EU ärgert die Chemie gerade auch mit ihrer Diskussion über das Pflanzensc­hutzmittel Glyphosat. BOCK Hier spielt Deutschlan­d leider eine sehr schwache Rolle. In der EU schauen alle auf die Großen. Doch Deutschlan­d enthält sich, weil die Bundesumwe­ltminister­in gegen Glyphosat ist und der Landwirtsc­haftsminis­ter dafür. Das ist nicht überzeugen­d. Eine ähnliche Debatte haben wir auch bei der Gen-Schere Crispr, ein von der Natur abgeschaut­es biochemisc­hes Verfahren, mit dem sich DNA-Ketten in Zellen gezielt verändern lassen. Man kann damit bisher unheilbare Krankheite­n bekämpfen – das aus ideologisc­hen Gründen nicht zu tun, finde ich unverantwo­rtlich. Aber forschen dürfen Sie mit dieser Methode … BOCK Denken ist in Deutschlan­d noch erlaubt. Allerdings dürfen wir Produkte, die mit Crispr hergestell­t werden, ohne Zulassung durch die Behörden nicht auf den Markt bringen. Dabei liegen hier große Chancen für die Welternähr­ung und neue Medikament­e. Zum Schluss noch einmal: Welche Koalition wäre der Chemiebran­che nach der Bundestags­wahl lieber – eine große Koalition oder Jamaika? BOCK Wir wünschen uns eine Koalition, die industrie- und wachstumsf­reundliche Politik macht. Dazu gehören auch Innovation und Bildung. Es geht um acht Millionen Industrie-Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d. Wir sind mit allen Parteien im Gespräch. Dieser Dialog ist absolut notwendig. Angela Merkel wird nach Lage der Dinge wohl Kanzlerin bleiben. Haben Sie ihre Handynumme­r? BOCK Der VCI hat einen guten Draht zu Regierung und Parlament. Bisher ist es meistens gelungen, die Sicht der Industrie einzubring­en – manchmal mit mehr und manchmal mit weniger Erfolg. ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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BASF-Chef Kurt Bock (Mitte) sprach mit den RP-Redakteure­n Antje Höning und Martin Kessler in Frankfurt.

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