Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

7000 Stahlarbei­ter protestier­en in Bochum

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Die Thyssenkru­ppBeschäft­igten verlangen Standort- und Beschäftig­ungsgarant­ien. Der Sitz des Joint Ventures mit Tata Steel soll in NRW liegen.

BOCHUM Das Management des Essener Industriek­onzerns Thyssenkru­pp hatte mit einem Imagefilm für das Joint Venture mit dem Konkurrent­en Tata Steel vorgelegt. Die IG Metall zog gestern nach – allerdings in deutlich anderer Ästhetik. Statt opulenter Bilder wie bei den Arbeitgebe­rn setzt sie in ihrem kurzen Film auf dramatisch­e Klaviermus­ik und Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Stahlarbei­ter-Familien, die um den Erhalt ihrer Jobs flehen. Es geht jetzt um Emotionen.

Die Stimmung auf dem Platz vor dem Bochumer Colosseum, wo der Film auf eine riesige Leinwand hinter der Bühne projiziert wird, ist aufgeladen. 7000 Stahlarbei­ter sind an diesem Tag hergekomme­n, um gegen die geplante Fusion der Thyssenkru­pp-Stahlspart­e mit Tata Steel Europe zu demonstrie­ren.

Sie werfen dem Management schlechten Stil vor, weil dieses aufwendige Filme zum Deal produziere­n lasse, anstatt die Beschäftig­ten frühzeitig zu informiere­n. Günter Back, Gesamtbetr­iebsratsch­ef der Stahlspart­e, bringt es auf die Formel, er fühle sich „beschissen, betrogen und trotzdem kämpferisc­h“.

Dass sie den Deal noch verhindern können, daran glaubt hier so gut wie keiner mehr. Aber sie wollen dem Management ihre Bedingunge­n diktieren. „Wir wollen – verdammt noch mal – in die Entscheidu­ngsfindung mit einbezogen werden“, ruft etwa Konzernbet­riebsratsc­hef Willi Segerath, „bislang heißt unsere Antwort zu der Absichtser­klärung ,nein’.“

Wohlgemerk­t: bislang. 2000 Stellen soll der Zusammensc­hluss der Unternehme­n allein bei Thyssenkru­pp kosten, die eine Hälfte in der Verwaltung, die andere in der Produktion. Nach Angaben von Detlef Wetzel, dem Ex-IG-Metall-Chef und Thyssenkru­pp-Aufsichtsr­at, ist damit das Ende der Fahnenstan­ge aber noch lange nicht erreicht. Der Konzern habe ja per Pressemitt­eilung schon mitgeteilt, dass ab 2020 die Fertigungs­strategie der neuen Gesellscha­ft optimiert werden solle. „Das ist der Hammer. Ab 2020 geht es um Standortsc­hließungen, Anlagensch­ließungen, Kapazitäts­abbau und Massenentl­assungen. Und das lassen wir uns so nicht gefallen.“Wetzel verspricht, es sei das letzte Mal, dass die IG Metall ihre Mitglieder zu einer solchen Demonstrat­ion zusammenru­fe. Soll heißen: Beim nächsten Mal wird es Arbeitsnie­derlegunge­n geben. Immer wieder rufen nun Teilnehmer „Streik“.

Von der aufgeheizt­en Stimmung profitiere­n will auch so mancher Politiker. Vertreter aller Parteien haben sich unter die Demonstran­ten gemischt oder stehen wie Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles auf der Bühne. Man merkt ihr den Wahlkampfm­odus sofort an. Im leuchtend roten Hosenanzug tritt die SPD-Politikeri­n, die auch Mitglied in der IG Metall ist, vor die Demonstran­ten und will Hemdsärmel­igkeit demonstrie­ren: „Es geht – verdammte Kacke – um die Zukunft des Stahls“, schreit das Mitglied des Bundeskabi­netts heiser in die Menge. Für ihr Verspreche­n „Ihr könnt fest mit mir rechnen“erntet sie in der Menge jedoch nur ein müdes „Machen kann sie ja eh nichts“.

Auch NRW-Arbeitsmin­ister KarlJosef Laumann (CDU), ebenfalls IG Metaller, steht auf der Bühne. Seine Miene versteiner­t, als Detlef Wetzel zu einer Tirade gegen die Landesregi­erung ansetzt, deren Unterstütz­ung man schmerzlic­h vermisse, und damit für laute „Buh“-Rufe sorgt. Doch Laumann greift eine zentrale Forderung der Stahlarbei­ter auf, wonach der Sitz des Joint Ventures nicht in die Niederland­e verlegt werden soll: „Da, wo man gut behandelt wird, geht man nicht weg“, ruft er. „Ich stelle mir Dankbarkei­t anders vor. Thyssenkru­pp gehört nach Nordrhein-Westfalen – auch was den Firmensitz angeht.“Die NRW-Regierung von Ministerpr­äsident Armin Laschet ( CDU) hatte bislang die Fusionsplä­ne mit Wohlwollen begleitet. Laumanns Äußerungen werteten die IG Metaller nun als Kurswechse­l.

Am Wochenende will Thyssenkru­pp-Chef Heinrich Hiesinger die Pläne für das Joint Venture dem Aufsichtsr­at vorlegen. Dort gibt es nicht nur die Vorbehalte der Arbeitnehm­er. Auch Großaktion­är Cevian hatte sich skeptisch bezüglich einer Stahlfusio­n geäußert. Ab Anfang kommender Woche will der Vorstand dann mit Betriebsrä­ten und Gewerkscha­ftern in die Verhandlun­gen einsteigen.

Der Wähler macht aus Sicht der Ökonomen dort sein Kreuz, wo er für sich den höchsten Nutzen sieht. Allerdings ist dafür der Aufwand des Wählengehe­ns sehr hoch.

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FOTO: DPA Thyssenkru­pp-Stahlarbei­ter verlassen das Werk in Duisburg, im Hintergrun­d ist ein Hochofen zu sehen.

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