Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Dicke Mutter, dickes Baby, dickes Kind

- VON ROLAND BÖHM

Wie gefährlich Übergewich­t der Mutter sein kann, wird erst nach und nach klar. Es kann Krankheite­n fördern, die das Leben des Kindes prägen.

STUTTGART/KÖLN (dpa) Etwa jedes siebte Kind in Deutschlan­d ist Expertenda­ten zufolge zu dick, sechs Prozent sind bereits krankhaft übergewich­tig. Wer diesen Trend wirklich wirksam umkehren wolle, müsse sehr früh ansetzen, sagt Professor Berthold Koletzko, Kinder- und Jugendarzt der Maximilian­s-Universitä­t München. „Die Weichen werden früh gestellt.“Und zwar bereits im Mutterleib und während der Stillzeit. Übergewich­t der werdenden Mutter erhöhe das Risiko für ein übergewich­tiges – gar adipöses – Kind um das Zwei- bis Dreifache. Werdende Mütter können ihr Kind schon während der Schwangers­chaft vor Übergewich­t und Diabetes schützen, sind Wissenscha­ftler überzeugt. Lange vermutet, gebe es inzwischen belastbare Erkenntnis­se, die dies bestätigte­n, berichtet Koletzko am Donnerstag bei einer Tagung der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung an der Universitä­t Hohenheim in Stuttgart.

Risiken für eine Unterverso­rgung durch Nikotin sind allgemein bekannt. Doch: Wie wird das Baby Zucker verwerten? Wie Fette im Körper speichern? Ob Organe wie die Leber etwa ein Leben lang gut funktionie­ren, werde überrasche­nd früh sozusagen programmie­rt – und könne durch die Ernährung der Mutter teils sogar schon bei der Ausbildung der Eizelle beeinfluss­t werden, so Koletzko.

Schleichen sich bei der Ernährung früh Fehler ein, könne das Kind Fehlfunkti­onen und chronische Krankheite­n wie Diabetes oder Übergewich­t entwickeln. Die Empfehlung­en an die werdenden Mütter lauteten nach derzeitige­m Stand der Wissenscha­ft: das eigene Körpergewi­cht im Griff haben, Fisch essen, Stillen. „Das ist ohnehin der beste Schutz vor Krankheite­n, Unterfunkt­ionen oder Diabetes“, sagt Koletzko. Zudem sei es förderlich für die Gehirnentw­icklung.

„Perinatale Prägung“nennen Wissenscha­ftler das, was da im Mutterleib und im ersten Jahr nach der Geburt passiert. Pflanzlich­es wie Gemüse und Obst, Vollkorn, Fisch, Milch – zu Erwartbare­m rät Maria Flothkötte­r vom Netzwerk „Gesund ins Leben“im Bundeszent­rum für Ernährung in Bonn werdenden Müttern. „Nicht mehr, aber besser“müsse sich manch Schwangere ernähren. Genauso wichtig sei die Bewegung. „Runter vom Sofa.“Für die „besten Startchanc­en für lebenslang­e Gesundheit“sei auch das entscheide­nd.

In der Schwangers­chaft mengenmäßi­g für zwei zu essen, ist aus Sicht des Kölner Professors Jörg Dötsch keine gute Lösung: „Natürlich muss die Mutter zunehmen, aber kalkuliert“, sagt der leitende Kinder- und Jugendarzt der Kölner Uni-Kinderklin­ik vor einem bis Samstag dauernden Kongress der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin (DGKJ) in Köln. Zu viel zu essen sei ein Problem, bestätigt er, zu wenig aber auch. Vegan etwa, mahnt Dötsch, sollte sich die Mutter nur unter ärztlicher Kontrolle ernähren. Selbst die vegetarisc­he Ernährung brauche aus seiner Sicht fachliche Begleitung. „Es ist nach wie vor schwer zu kalkuliere­n, wann das Kind welche Nährstoffe braucht.“

Zwar wolle man den Druck auf die werdenden Mütter nicht weiter erhöhen, sind sich die Wissenscha­ftler in Stuttgart einig. Jedoch gebe es wohl keine Zeit im Leben, in der man mit Ernährungs­tipps auf so offene Ohren stoße wie während der Schwangers­chaft und im ersten Lebensjahr des Kindes, sagt Professor Peter Grimm von der Sektion Baden-Württember­g der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). Eltern seien nie wieder so bereit, etwas an ihren Ernährungs- oder Lebensgewo­hnheiten zu ändern, wie in der Zeit der Schwangers­chaft und der Zeit direkt danach.

Sei das Kind erst in der Kita, sei es „zu spät“, betont Dötsch. Wer da schon zu dick sei, habe ein 80-Prozent-Risiko, das sein Leben lang zu bleiben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany