Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Bedingt terrorabwe­hrbereit

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Es ist nicht die Frage, ob Deutschlan­d von einem weiteren Terroransc­hlag getroffen wird, es geht lediglich darum, wann das geschieht. 30 erfolgreic­he Anschläge in Europa in den letzten 20 Monaten, davon sieben in Deutschlan­d, lassen diesen Schluss zu. Umso dringliche­r ist es, die Sicherheit­slücken zu schließen. Doch die erste öffentlich­e Befragung der drei Nachrichte­ndienst-Chefs im Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium des Bundestage­s lässt ahnen, dass die Lücken groß sind und sogar weiter wachsen.

Das Abtasten der deutschen Sicherheit­sarchitekt­ur auf Schwachste­llen führt schnell zum F-Wort. Politiker sind stolz auf den deutschen Föderalism­us, also die Erstzustän­digkeit und Mitsprache der Bundesländ­er in vielen wichtigen Angelegenh­eiten. Doch Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hat eine andere Sicht darauf. Deutschlan­d leiste sich 18 Inlandsnac­hrichtendi­enste. „Eine Steuerung gibt es leider nicht, insofern sind wir einzigarti­g“, lautet sein Befund. Die Nachrichte­ndienste könnten sich nicht einmal auf eine einheitlic­he Formulieru­ng dessen verständig­en, was überhaupt nachrichte­ndienstlic­he Mittel sind, berichtet der Chef des Militärisc­hen Abschirmdi­enstes, Christof Gramm. „Harmonisie­rung ist schwierig“, sagt auch er.

Maaßen greift sie auf, die stets wiederholt­e Absicht, zu einer stärkeren Vereinheit­lichung zu kommen. Doch in seiner Amtszeit seit 2012 ist „die Rechtslage eher noch auseinande­rgegangen“. Für die Nachrichte­ndienste gelten 17 verschiede­ne Gesetze. Anders als bei der Polizei, wo die Bundespoli­zei Spezialauf­gaben neben denen der Länder wahrnimmt, sind beim Verfassung­sschutz die Landesämte­r und das Bundesamt jeweils für identische Aufgaben zuständig. Alle beobachten Rechts- und Linksextre­mismus, alle verfolgen Isla- mismus, alle kümmern sich um Terrorgefa­hren und Spionageab­wehr, alle übernehmen Observatio­nen, alle halten eine ähnliche Infrastruk­tur vor. „Ohne Zweifel hat der Föderalism­us Vorteile, aber im Sicherheit­sbereich nehmen wir immer wieder seine Nachteile wahr“, fasst Maaßen trocken zusammen.

Aber die Architektu­r ist noch viel störanfäll­iger, wenn es um Terrorabwe­hr geht. Das Stichwort liefert CDU-Innenexper­te Armin Schuster: Trennungsg­ebot. Die strikte Abschottun­g von Nachrichte­ndiensten auf der einen und Justiz und Polizei auf der anderen Seite sei „in die Jahre gekommen“, sagt der Abgeordnet­e, ein gelernter Polizist. Nach seinem Eindruck werden die Potenziale der Nachrichte­ndienste nicht mehr genutzt, sobald ein Staatsanwa­lt auf der Bühne erscheint.

Es sei „Teil der deutschen Mentalität“, erklärt Maaßen, dass Strafverfo­lgung Vorrang vor Gefahrenab­wehr habe. Nach diesem Prinzip wird detaillier­t die Schuld eines gefassten Straftäter­s untersucht, während die Nachrichte­ndienste außen vor sind, die zur selben Zeit aufklären könnten, ob der Verdächtig­e Teil eines Terrornetz­werks ist. Die problemati­sche Seite des Trennungsg­ebots kommt schon semantisch zum Ausdruck. Solange es im Amtsdeutsc­h um „Gefährdung­ssachverha­lte“geht, sind die Nachrichte­ndienste zuständig. Handelt es sich aber um „Gefährders­achverhalt­e“, übernimmt die Polizei. Der Fall Amri, also der Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt, krankte offenbar genau daran: Die Polizei hatte Amri weiter als Gefährder geführt, also kümmerte sich der Verfassung­sschutz nicht darum, welche Gefährdung von ihm ausging. „Dann haben wir doch eine Lücke“, ruft Gremiumsvo­rsitzender Clemens Binninger (CDU). Es ist bei Weitem nicht die einzige.

Der Chef des Auslandsna­chrichtend­ienstes BND, Bruno Kahl, beklagt die

„Der Föderalism­us hat Vorteile, aber bei der Sicherheit nehmen wir seine Nachteile wahr“

Hans-Georg Maaßen

Verfassung­sschutzprä­sident

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