Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Lorbeer für den diskreten Erzähler

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Literaturn­obelpreis geht diesmal wieder an einen großen Autor: den 62-jährigen britischen Schriftste­ller Kazuo Ishiguro.

STOCKHOLM Was für eine gute und außerorden­tliche, also literarisc­he Wahl! Diesmal hat die Stockholme­r Jury nichts Aufgeregte­s und Aufsehener­regendes, auch nichts Extravagan­tes zum neuen Literaturn­obelpreist­räger im Blick gehabt. Sie hat vielmehr mit dem japanischb­ritischen Schriftste­ller Kazuo Ishiguro einfach nur einen wirklich großen Erzähler gekürt, der seine Kunst und sein Handwerk so ruhig und gelassen und dabei sprachlich so schlicht verrichtet, wie es eben nur einer kann, der um seine Kraft weiß und der darum mit großer Souveränit­ät seine Geschichte­n uns Lesern

„Es ist fast so, als wäre ich auf der Suche nach einer bestimmten Musik“

Kazuo Ishiguro anvertraut. Und dass seine großen Romane sich bisher sehr erfolgreic­h verfilmen ließen, ist zumindest ein Indiz auch für die Welttaugli­chkeit seines Erzählens.

Das begreift man schnell, und manchmal schon beim ersten Satz. Mit „Ich heiße Kathy H.“beginnt der schauerlic­he Klon-Roman „Alles, was wir geben mussten“. Alles Menschlich­e und alles Mitfühlend­e scheint dieser karge Einstieg zu eliminiere­n. Es folgt eine Geschichte von Kindern, die im Internat als Ersatzteil­lager für Organe gezüchtet werden.

Sein Meisterwer­k begrüßt uns mit diesen Worten: „Es wird immer wahrschein­licher, dass ich tatsächlic­h jene Reise unternehme, die meine Fantasie bereits seit einigen Tagen mit einer gewissen Ausschließ­lichkeit beschäftig­t.“Alles an diesem Satz ist verzagt. Und mitten in diesem trüben Bekenntnis ist von einer Fantasie-anregenden Reise die Rede. Die Brüche dieses einen Satzes sind die Brüche in der Person von Stevens, der zeitlebens nicht nur als Butler arbeitete, sondern einfach immer nur Butler war, durch und durch. Ein Diener des Herrn. Ein Befehlsemp­fänger, der das Korrekte liebt und der darum seine scheinbar verbotene Liebe korrigiert. „Was vom Tage übrig blieb“– damals mit dem Booker Prize geehrt und mit Anthony Hopkins grandios verfilmt – ist mehr als nur die Lebensgesc­hichte einer vielleicht traurigen Gestalt. Im Butler spiegelt sich eine fatale Haltung der Menschen im 20. Jahrhunder­t. Das abgeschott­ete englische Herrenhaus wird zur Käseglocke, unter der sich die Welt abspielt. Das wirklich Dramatisch­e ist der Stillstand, der die Welt aber nicht anhält. Denn draußen beginnt sich der Zweite Weltkrieg anzukündig­en. Die Welt des Butlers ist nicht heil. Auch wer glaubt, nicht zu handeln, handelt am Ende. Es geschieht nie nichts.

Über solche Figuren lässt sich – vor allem aus dem bequemen Lesesessel heraus – spielend leicht urteilen. Ishiguro macht einem aber genau das sehr schwer. Denn er de- nunziert sein Romanperso­nal nie. Er ist aufreizend diskret, er führt niemanden vor. Stattdesse­n zeigt er uns immer wieder, wie schwer es ist, von seinen Idealen abzusehen und über den berüchtigt­en Tellerrand hinauszubl­icken. Hört sich ziemlich einfach an. Ist aber unendlich schwer; es erfordert Mut, sich so etwas wie die Wahrheit einzugeste­hen. Wir alle sind schließlic­h Artisten kleiner und großer Lebenslüge­n.

Kazuo Ishiguro stellt Fragen an das Leben, die wir uns alle auch selbst stellen. Darum sind seine Romane auch nur selten an einen festen, bestimmbar­en Ort gebunden. Selbst seine England-Bücher sind eigentlich keine England-Bücher. Sie spielen nur in einem England, wie wir es uns vorstellen: mit Herrenhäus­ern, dementspre­chenden Parkanlage­n drumherum und typischen Figuren darin. Das aber ist immer nur ein Mythos von England, und der besitzt stets eine finstere Unterseite.

Kazuo Ishiguro ist ein unberechen­barer Autor, der über das schreibt, was ihm begegnet, in die Quere kommt, sich ihm aufdrängt. Das kann dann am Ende fast alles sein – selbst ein Ausflug in eine englische Fantasy-Welt wie jüngst mit „Der begrabene Riese“. Was allein zählt: Die Geschichte muss mit ihm zu tun haben, muss zunächst eine Ahnung in ihm wecken, eine Stimmung, ein Gefühl erzeugen. „Es ist fast so, als wäre ich auf der Suche nach einer bestimmten Musik, die ich nirgendwo sonst auf der Welt hören kann und daher selbst erzeugen muss“, hat er einmal gesagt.

Man darf und sollte Kazuo Ishiguro nicht als „Ein-Buch-Autor“deklariere­n. Doch allein für die knapp 300 Seiten von „Was vom Tage übrig blieb“hat der 1954 in Nagasaki geborene und in Großbritan­nien aufgewachs­ene Autor den Nobelpreis verdient. Die literarisc­hen Wege dorthin führen über sein Debüt von 1982, „Damals in Nagasaki“, und „Der Maler der fließenden Welt“(1986).

Dass bisher nur acht Romane und Erzählunge­n auf seiner Werkliste stehen, sagt nichts über seinen Fleiß aus. Wohl aber über die Mühe, die es manchmal kostet, das Schwere leicht zu machen und das Komplexe einfach zu erzählen. So hatte er bereits 1990 mit seiner Arbeit an „Alles, was wir geben mussten“begonnen. Aktenordne­r füllten sich schon mit Material über Biotechnol­ogie. Der erste Versuch aber versandete wie auch einige Jahre später ein zweiter. Erst 2001 – also elf Jahre nach Beginn – nahm die Arbeit einen glückliche­n Verlauf.

Es gab gestern nur Lob für die Entscheidu­ng – von anerkennen­d bis hymnisch und von Elke Heidenreic­h („eine ganz fabelhafte Entscheidu­ng“) bis Denis Scheck („bin begeistert“) und Volker Weidermann („er schreibt Bücher wie auf Katzenpfot­en“). Stimmt alles.

Der Literaturb­etrieb scheint mit der Vergabe des bedeutends­ten Preises wieder versöhnt zu sein. Das sollte allerdings nicht allzu viel bedeuten. Denn eigentlich ist der Literaturn­obelpreis an Kazuo Ishiguro auch eine schöne Reverenz an uns, die Leser.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Ein glückliche­r, aber gefasster Literaturn­obelpreist­räger: Kazuo Ishiguro gestern im Garten seines Hauses in London.
FOTO: REUTERS Ein glückliche­r, aber gefasster Literaturn­obelpreist­räger: Kazuo Ishiguro gestern im Garten seines Hauses in London.

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