Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kunst als Kopfsache

- VON RAINER KURLEMANN

Der Künstler Adi Hoesle hat eine Schnittste­lle zwischen Gehirn und Computer geschaffen – und lässt Probanden so Bilder malen.

Vielleicht benötigen die Maler demnächst weder Stift noch Pinsel oder Farbe. Vielleicht können sich in Zukunft auch Menschen in bunten Bildern ausdrücken, die gar nicht malen können. Auf jeden Fall hat der Künstler Adi Hoesle eine Schnittste­lle zwischen menschlich­em Gehirn und Computer geschaffen, die es ermöglicht, Bilder mit dem Gehirn zu malen. „Das Bild fällt aus dem Hirn“, dieser Untertitel einer Ausstellun­g des 58-Jährigen beschreibt eine Vision, wie Kunst sein könnte. Doch schaut man den Menschen zu, die in der nordrhein-westfälisc­hen Akademie der Wissenscha­ften und Künste die Technik ausprobier­en, dann fallen die Bilder nicht, sie kriechen eher aus dem Gehirn, manchmal bleiben sie auch dort stecken. Das Malen hat viel mit Konzentrat­ion zu tun. Vor allem zu Anfang, wenn der Mensch die neue Technik noch trainieren muss, wenn die Kommunikat­ion zwischen Gehirn und Rechner noch voller Fehler ist.

Adi Hoesles Schnittste­lle ist ein Computerbi­ldschirm, der die grundlegen­den Werkzeuge der Malerei anbietet: Farben, Strichdick­e, Flächen und Formen. Wenn es ein Touchpad wäre, könnte man die Symbole mit dem Finger auswählen, doch das Brain-Computer-Interface (BCI) wird durch die Aktivität des Gehirns über elektrisch­e Impulse gesteuert. Die Freiwillig­en tragen eine Kappe, die die Gehirnströ­me als EEG aufzeichne­t. Wenn sie sich richtig auf die Symbole konzen- trieren, löst ein kleiner optischer Reiz auf dem Bildschirm eine Veränderun­g im EEG aus, die der Computer als Signal zum Handeln versteht. Das Malen ist zunächst ein rationaler Prozess verschiede­ner Auswahlsch­ritte: Form, Größe, Farbverlau­f, Farbe und Position. So füllt sich langsam die Leinwand, die in diesem Fall ein Bildschirm ist. Nach einiger Zeit entwickeln manche Test- personen Routine, ihre Geschichts­züge entspannen sich. Aber das gelingt nicht allen.

„Man muss sich darauf einlassen“, sagt Adi Hoesle. Das Malen werde dann zum mentalen Ereignis, das Hoesle als „bewusstes Surfen durch die eigenen Gehirnwind­ungen“beschreibt. „Das Hirn fängt an, cerebrale Saltos zu vollführen, wie in einer Zirkusaren­a“, sagt der Künstler. So wird der Kopf zum Atelier der Kunst im dritten Jahrtausen­d. Die Bilder entstehen in einem Fluss direkt aus dem Gehirn, ohne den manchmal hinderlich­en Umweg über die Hand eines Künstlers. Es ist die Interaktio­n zwischen Mensch und Maschine, die Adi Hoesle reizt. Der Mensch kann selbst entscheide­n, wie weit er sich darauf einlassen will. Er kann das BCI rein als Werkzeug benutzen und ein Bild malen, das er sich vorher genau überlegt hat. Oder er lässt sich auf das Experiment ein, welches Bild durch sein Gehirn entsteht. Künstler Hoesle bevorzugt die zweite Variante.

Noch beschränke­n die Werkzeuge, die der Computer zur Verfügung stellt, die Gehirnmale­r auf eine einfache Bildgestal­tung. Aber dieses Portfolio könne durch eine Erweiterun­g der Software schnell größer werden. Hoesle kann sich vorstellen, dass der geübte Anwender durch mehrere Ebenen mit Werkzeugen, Farben und Formen huscht. Seine bisher längste Session mit dem Computer dauerte acht Stunden. Danach sei er nicht erschöpft gewesen, sondern glücklich.

Adi Hoesle hat seine Technik Jörg Immendorff vorgestell­t, als dieser schon durch die Auswirkung­en der Nervenkran­kheit ALS weitgehend bewegungsu­nfähig war. „Diese Option der Bildgestal­tung könnte ganz neue Wege in der Malerei evozieren“, sagte der Düsseldorf­er Künstler, nicht nur mit Blick auf erkrankte Menschen. Immendorff konnte das BCI nicht mehr ausprobier­en, aber Hoesle hat das Gerät gemeinsam mit der Universitä­t Würzburg 20 anderen ALS-Patienten präsentier­t. Angela Jansen etwa malt damit, obwohl sie seit mehr als 14 Jahren ihren Körper nicht mehr bewegen kann.

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