Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Wer ausgrenzen will, findet immer fremde Haare in der Suppe“
Der Ex-Grünenchef über Macrons Europa-Rede und Kompromisse in einer möglichen Jamaika-Koalition.
BERLIN Der EU-Politiker Reinhard Bütikofer unterhält zwar auch Büros in Brüssel, Straßburg, Schwerin und Leipzig, doch in diesen Tagen ist er fast nur noch in Berlin. Der 64-Jährige ist Mitglied im 14-köpfigen Team, das die Grünen für mögliche Sondierungsgespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition bestimmt haben. Wir bekommen ihn morgens vor vielen Terminen an die Strippe. Herr Bütikofer, die Grünen haben der Europa-Rede des französischen Präsidenten Macron begeistert applaudiert. Sind Sie nicht zu unkritisch? BÜTIKOFER Unbestreitbar ist Macrons Rede ein willkommenes Angebot, das Frankreich Deutschland und der EU für die Weiterentwicklung unserer gemeinsamen Zukunft gemacht hat. Das ist eine Initiative mit großem Gewicht. Wir wollen, dass Berlin dazu die Hand reicht, eine neue Partnerschaft mit Paris sucht. Natürlich sehen wir manches kritisch. Wir lehnen zum Beispiel ein Eurozonen-Parlament ab, weil es das EU-Parlament schwächen würde. Auch Macrons EurozonenBudget wollen wir nicht. Macron hat zwar Recht, dass künftig erheblich mehr Geld für gemeinsame Investitionen bereitstehen muss. Aber das soll im Rahmen des EU-Haushalts passieren. Es müssen sich an den Gemeinschaftsinvestitionen auch Länder beteiligen können, die nicht Euro-Mitglied sind. Warum reicht der vom EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon vor längerer Zeit ins Leben gerufene Milliarden-Fonds für gemeinsame Investitionen nicht aus? BÜTIKOFER Allein schon für Digitalisierung und klimaverträgliche Wirtschaft muss enorm investiert werden. Es besteht sonst die Gefahr, dass manche Regionen abgehängt werden. Das schadete uns allen, denn nur mit einem gemeinsamen europäischen Löffel werden wir auf Dauer in der Lage sein, mit China und den USA beim internationalen Wettbewerb aus derselben Schüssel zu essen. Die nationalen Löffel sind zu kurz. Da reicht der JunckerFonds bei Weitem nicht. Wir könnten jetzt erst mal das EU-Budget auf bis zu 1,24 Prozent der EU-weiten Wirtschaftsleistung anheben, ohne EU-Verträge ändern zu müssen. Was würde Deutschland eine solche deutliche Aufstockung des EU-Budgets kosten? BÜTIKOFER Was kostet es uns, wenn wir das nicht tun? Wer Deutschland als ausgesaugtes Opfer der EU-Integration stilisiert, hat gar nicht verstanden, wie stark unser Wohlstand auf der EU fußt. Wir profitieren am meisten von der EU. Ein Deutschland, das sich nicht mehr trauen würde, in die EU zu investieren, würde materiell und kulturell sehr viel ärmer. Sollen wir auch der Vergemeinschaftung von Schulden zustimmen? BÜTIKOFER Nein. Macron hat ausdrücklich gesagt, dass er eben nicht die Vergemeinschaftung der Schulden will. In diese Falle geht er nicht. BÜTIKOFER Nein. Für eine Schwächung des Asylrechts sind wir Grüne nicht zu haben. Das Grundgesetz ist eindeutig. Die aktuelle humanitäre Aufgabe ist, Italien und Griechenland mit praktischer Solidarität in der Flüchtlingsfrage zu unterstützen. Zu einer wirksamen gemeinsamen Migrationspolitik brauchen wir erst mehr Vertrauen zwischen den EU-Staaten. Wie wollen Sie das erreichen? BÜTIKOFER Hinter den Kulissen wird in Brüssel beraten, ob nicht die Verweigerungshaltung einiger Mitgliedsstaaten überwunden werden kann, indem die EU Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen, besonders unterstützt. Wie könnte eine Jamaika-Koalition die Zuwanderung begrenzen?
Wenn wir durch Jamaika eine Chance bekämen, zentrale Ziele wie etwa den Kohleausstieg schwungvoll anzupacken, wären wir ja nicht gescheit, wenn wir sie ausschlagen würden.
DAS INTERVIEW FÜHRTE B. MARSCHALL.