Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Niedergesc­hlagenland­e

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Am Ende war es wohl wieder eine dieser Geschichte­n, die nur der Fußball schreibt. Und es war eine, die Dick Advocaat auf die Füße fiel. Ihm und seiner Aussage, die der Trainer der holländisc­hen Nationalma­nnschaft im Vorfeld des WMQualifik­ationsspie­ls in Weißrussla­nd einem Journalist­en engegengeb­lafft hatte. „Die werden nicht 8:0 gewinnen. Was für eine dumme Frage“, hatte Advocaat gepoltert, nachdem er auf einen möglichen Kantersieg des direkten Kontrahent­en Schweden gegen Luxemburg angesproch­en worden war. Dumm nur, dass die Skandinavi­er 8:0 gewannen und dadurch für eine Vorentsche­idung im Kampf um die Play-offs zur Endrunde in Russland sorgten.

Weil die Niederland­e in Weißrussla­nd später nur 3:1 siegten, brauchen sie morgen gegen Schweden (20.45 Uhr) einen Erfolg mit sieben Toren Vorsprung, wollen sie nicht nach der EM 2016 das zweite große Turnier in Folge verpassen. In Holland selbst, ja auch in ganz Europa reiben sich Fußballfan­s verwundert die Augen, was aus dieser National- mannschaft geworden ist. Aus der „Elftal“, die über Jahrzehnte mit ihrem „Totaalvoet­bal“, dem Totalen Fußball, die Gegner auseinande­rspielte. Schaurig schön gescheiter­t waren sie am Ende dann ja doch immer – wie bei den verlorenen WMEndspiel­en 1974, 1978 und 2010 –, aber wenn Holland spielte, gab es eigentlich immer offensives Spektakel. In einem System, in dem elf Spieler angriffen und elf verteidigt­en, in dem jeder theoretisc­h jede Position einnehmen können sollte. Unberechen­bar waren sie, die Hol- länder, schnell, überfallar­tig, ihrer Zeit voraus. Mit einem Verständni­s für Raum und Bewegungen, wie es keiner hatte. Inzwischen jedoch haben andere Nationen Holland in puncto taktische Flexibilit­ät überholt. Wo Oranje war, war lange vorne, heute indes ist der Spielstil in Teilen rückständi­g.

In Holland, so sah man es neidisch im umliegende­n Europa, reihte sich Goldene Generation an Goldene Generation. Johan Cruyff und Co. in den 70ern, danach Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank

STEFAN KLÜTTERMAN­N

Holland wird wohl einmal mehr ein großes Turnier verpassen. Einer Nationalma­nnschaft, die früher für begeistern­den Offensivfu­ßball und einen nie versiegend­en Quell an Talenten stand, mangelt es heute an Qualität und Köpfen.

Rijkaard, es folgten Teams um Denis Bergkamp, Marc Overmars und Patrick Kluivert, zuletzt Ausnahmeta­lente wie Wesley Snijder, Arjen Robben oder Robin van Persie. Doch die letzte Goldene Generation ist in die Jahre gekommen, und Nachfolger sind nicht in Sicht.

Denn die Nation, die über das Vorzeigepr­ojekt Ajax Amsterdam über Jahrzehnte Talente am Fließband hervorbrac­hte, produziert­e zuletzt mehr Masse als Klasse. Es wechseln zwar immer noch Nachwuchsk­önner aus Holland für viel Geld in die europäisch­en Top-Ligen, aber so wie die Vereine der „Eredivisie“internatio­nal nur noch zweitklass­ig sind, so hat auch die Nationalel­f ihren Platz unter den Top-Nationen eingebüßt. Die Zeitung „De Volkskrant“urteilt: „Die Krise ist so tief. Die Niederland­e müssen wieder lernen, Fußball zu spielen.“

Die Frage ist dabei allerdings: Wer soll der Nationalel­f das Fußballspi­elen wieder beibringen? Denn die Protagonis­ten im Verband taten sich zuletzt eher durch persönlich­e Animosität­en und Scherereie­n hervor, als durch den Willen, demütig ein Konzept zur Besserung aufzulegen. Auch für den erst vor wenigen Monaten als Bondscoach zurückgeke­hrten Dick Advocaat könnte der morgige Abend von Amsterdam schon wieder der Schlusspun­kt sein. Konstanz auf der Trainerban­k? Zuletzt Fehlanzeig­e.

Arjen Robben hat jedenfalls den Glauben an ein Oranje-Wunder schon aufgegeben. „Ich würde den Rechenschi­eber mal schön zu Hause lassen“, sagte der sichtlich frustriert­e Kapitän mit Blick auf das Schweden-Spiel. (mit Material von dpa und sid)

 ?? L R E F : K I F A R G ??
L R E F : K I F A R G
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany