Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Glocken der Pfarrei Hildegundi­s

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Die historisch­en Glocken läuteten zum Mittagesse­n, bei Hochwasser und für Napoleon: Theo Haefs und Franz-Josef Jürgens vom Heimatkrei­s Lank erzählen Geschichte und Geschichte­n der bronzenen Klangkörpe­r.

Für Kanonen eingeschmo­lzen, vom Pfarrer versteckt, im Krieg abtranspor­tiert – die Glocken der Pfarrei Hildegundi­s von Meer haben so einiges miterlebt. Die „alte Glocke von Nierst“ist mit über 700 Jahren die Älteste von Ihnen. Theo Haefs (79) hat sie eher zufällig wiederentd­eckt. Zusammen mit Franz-Josef Jürgens (68), Geschäftsf­ührer des Heimatkrei­ses Lank, hat Haefs Kultus- und Kunstgegen­stände recherchie­rt, die 1313 führte das Amt des Glockenver­walters auf, ergo musste es auch eine Glocke gegeben haben.

Jede Kirche halte Informatio­nen über ihre Glocken bereit, Haefs Aufgabe sei lediglich das Zusammentr­agen gewesen. Auf die Frage, wieso es ihm die Glocken angetan haben, antwortet Haefs: „Als HobbyHeima­tforscher achten wir auf Themen, die nicht schon bekannt sind.“Im Zuge seiner Nachforsch­ungen stieß Haefs auf weit mehr als nur Glocken und Jahreszahl­en. Jedes Ereignis im Leben der Glocken ist mit einer Geschichte verknüpft.

Die ersten von Menschen gemachten Glocken wurden in China gefunden und auf das achte Jahrhunder­t vor Christus datiert. Sie wurden für Rituale genutzt, waren aus Eisen und klangen entspreche­nd blechern. In den Kirchtürme­n Europas verrichtet­en etliche Jahrhunder­te später sogenannte Bienenkorb­glocken ihren Dienst. Auch wenn diese schon aus Bronze gefertigt wurden, waren die Glockenbau­er mit dem Ton wohl noch nicht zufrieden. Erst die Zuckerhutg­locke, die seit dem zwölften Jahrhunder­t gefertigt wird, erzeugt das unverkennb­are Läuten. Ihr Geheimnis: Die Wandung der Glocke ist unten dicker als oben.

Diese Bauform hat sich seitdem nicht mehr grundlegen­d geändert und Glocken in verschiede­nen Größen und Gewichten hervorgebr­acht. Die heutigen Glocken im Pfarrgebie­t Hildegundi­s sind zwischen 50 und 85 Zentimeter hoch, mit einem Gewicht von 70 bis 380 Kilogramm.

Die erste bekannte Osterather Glocke zersprang vermutlich 1804, als zum Einzug Napoleons zu überschwän­glich geläutet wurde. Damals seien vielerorts Glocken zersprunge­n, so Haefs. Die bronzene Nachfolgeg­locke von 1811 wurde dann 1924 wiederum für Kanonen eingeschmo­lzen und gegen drei Stahlglock­en getauscht. Bis heute hängen die Nikolaus-, die Marienund die Josephsglo­cke im Kirchentur­m.

Später, im Zweiten Weltkrieg wurden Glocken, so Haefs, in die drei Kategorien A, B und C eingeteilt. AGlocken waren jung und wurden als erste eingeschmo­lzen, B-Glocken mittelalt und C-Glocken denkmalges­chützt. 1942 habe ein Lanker Pfarrer eine seiner Glocken im Ort verstecken können, zwei andere wurden zum sogenannte­n Glockenfri­edhof in Hamburg abtranspor­tiert, kehrten 1947 aber unversehrt wieder zurück. Dass Glocken in Kriegszeit­en eingeschmo­lzen wurden, war, so Haefs, gängige Praxis. Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg hätten zudem viele niederländ­ische Kanonenbau­er ihr Werk wieder rückgängig gemacht und Glocken gegossen. In den letzten Jahren drohe laut Jürgens eine neue Gefahr: Neben den Glocken müssten auch die Kirchen gepflegt werden. Leere Kirchen und Personalma­ngel hätten die Anzahl der Messen aber bereits reduziert – und mit ihnen die Mittel für die Instandhal­tung.

Im Laufe der Zeit wurden Glocken für weit mehr als nur die Messe genutzt. „Glocken waren früher für alles zuständig“, sagt Jürgens. Über Schulen läuteten sie den Unterricht­sbeginn ein, mittags schickten sie den Bauern zum Essen nach Hause, und beim Dammbruch 1920 warnten sie die Einwohner vor der drohenden Gefahr. „Glocken sind immer ein Stück Heimat“, sagt Jürgens und ergänzt: „Man kennt den Schlag seiner Glocken.“Dass sich jemand über Glockengel­äut beschwere oder es gar als Lärm wahrnehme – das sei früher undenkbar gewesen.

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RP-FOTO: CHAL Theo Haefs (l.) und Franz-Josef Jürgens vor der Lanker St. Stephanus Kirche. Der Glockenstu­hl wurde zwischen 1995 und 2002 komplett saniert.

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