Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Warnung vor dem „katalanischen Maidan“
Madrid geht hart gegen die Separatisten in Barcelona vor. Aber vor Ort dürfte es Widerstand geben.
BARCELONA (dpa) Der Schlagabtausch um die Unabhängigkeit Kataloniens lässt die Emotionen nach wochenlanger Eskalation hochkochen. Als der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy gestern vor dem Senat im knapp 600 Kilometer entfernten Madrid um Billigung der Zwangsmaßnahmen gegen die aufmüpfige Region bittet, klagen separatistische Abgeordnete im Regionalparlament in Barcelona: „Das ist eine Kriegserklärung!“
Noch am selben Abend leitet die spanische Zentralregierung die wegen ihrer Brisanz von Medien als „nukleare Option“titulierten Zwangsmaßnahmen gegen die Sezessionisten ein: Absetzung der Regierung, Auflösung des Parlaments, Neuwahlen. Die Unabhängigkeitspläne sollen damit beendet werden. Doch der Plan könnte auch schiefgehen, warnen neutrale Politiker und Beobachter. Ein Kinderspiel wird das Aufräumen auf keinen Fall.
Es gilt unter anderem als sicher, dass Madrid bei der Übernahme der Kontrolle über regionale Ministerien und Behörden auf Widerstand seitens der meisten der rund 110.000 Beamten stoßen wird. Stichwort: ziviler Ungehorsam. Die Schriftstellerin und Journalistin Esther Jaén, die sich als (nichtseparatistische) Katalanin in der Region gut auskennt, warnt im Fernsehen: „Das kann ein sechsmonatiges Desaster werden.“Es werde Störmanöver geben; Hunderte separatistische Bürgermeister würden die Neuwah- len mit allen Mitteln zu boykottieren versuchen.
Es könnte aber auch sein, dass es nicht beim relativ friedlichen Widerstand bleibt. Sprecher von Puigdemonts Partei sagen: „Es wird wohl leider Unruhen geben.“Eine Warnung des Real Instituto Elcano lässt erschaudern: Die unabhängige Denkfabrik warnt vor einem „katalanischen Maidan“– in Anspielung auf den blutigen Ukraine-Konflikt mit rund 100 Toten Anfang 2014.
Das fürchtet auch Enric Juliana. „Die Unabhängigkeitsbefürworter sind jetzt nach den vielen Demos etwas müde. Aber wenn sie den Eindruck gewinnen sollten, dass so etwas wie eine Besatzungsmacht in Katalonien einmarschiert, werden sie nicht stillhalten“, erklärt der Vizedirektor der liberalen, in Barcelona erscheinenden Zeitung „La Vanguardia“. Man dürfe die Katalanen beim Einsatz der unter Verfassungsexperten umstrittenen Zwangsmaßnahmen – ein Novum in Spanien seit Inkrafttreten der demokratischen Verfassung 1978 – keiner Demütigung aussetzen.
Während Madrider Journalisten und Politiker voller Empörung von einem Putsch in Barcelona sprechen, Rajoy die Nation zur Ruhe aufruft und die Sozialisten die Zentralregierung zur Vorsicht in Katalonien mahnen, skandieren Puigdemont und seine Getreuen im Parlament mit 15.000 Demonstranten vor dem Gebäude in Barcelona: „Freiheit, Freiheit, Freiheit!“Der Konflikt um Katalonien ist in eine neue Phase getreten.