Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Oppumer Familie adoptiert Flüchtling

- VON CAROLA PUVOGEL

Er hat einen neuen Namen, eine neue Familie und zum ersten Mal in seinem Leben Geschwiste­r: Ahmed aus Guinea wurde von der Oppumer Familie Eisleb adoptiert. Doch ob der fleißige 20-Jährige bleiben kann, ist längst nicht entschiede­n.

Ahmed ist angekommen. Sein neues Zuhause ist die Oppumer Donksiedlu­ng. Er hat eine neue Familie und einen neuen Namen, offiziell und für immer. Denn der 20-Jährige, der mit 16 die Flucht aus Guinea antrat und zwei Jahre später ohne Schuhe in Köln strandete, ist von der Krefelder Familie Eisleb adoptiert worden. Eine Herzensent­scheidung seiner neuen Eltern, Monika und Christoph, und seiner Geschwiste­r Miriam (24) und Jonathan (22). „Dass wir eine Familie sind und er zu uns gehört, war nach vier Wochen eigentlich klar“, sagt Christoph Eisleb. „Es hat einfach gepasst, so ähnlich, wie bei ‚Liebe auf den ersten Blick‘“, versucht er zu erklären. Im Januar 2016 hatten die Eislebs Ahmed aufgenomme­n. Die in der Flüchtling­shilfe sehr engagierte Kirchengem­einde St. Augustinus suchte damals einen Platz für den 18-Jährigen. „Und wir hatten Zimmer frei, denn unsere Kinder sind ja aus dem Haus“, berichtet Monika Eisleb.

Erst wenige Tage ist das Gerichtsur­teil jetzt alt, mit dem Ahmed nicht nur einen neuen Nachnamen, sondern auch den Vornamen Benjamin bekommen hat. Gemeinsam hat die Familie den Namen ausgesucht: Für ihren nun jüngsten Spross, den „Benjamin“der Eislebs. Und gleichzeit­ig bedeutet der Name auch „Sohn des Glücks“. Das passt, finden alle fünf Eislebs. Nur der Opa aus Hüls, berichtet Ahmed-Benjamin lachend, sei nicht einverstan­den gewesen: „Er wollte gern, dass ich heiße wie er: Hans-Martin.“Aber das befand der Familienra­t dann doch als zu altmodisch.

Zwischen den Großeltern und Ahmed-Benjamin hat sich eine ganz besondere Beziehung entwickelt. „Wir waren erst nervös, meinen Eltern überhaupt zu erzählen, dass wir einen Flüchtling aufgenomme­n haben“, erzählt Monika Eisleb. Doch Ahmed-Benjamins Schicksal, seine Geschichte von Flucht und Verfolgung berührt vor allem die neue Oma in ganz besonderer Weise: „Meine Mutter hat jetzt, mit über 80 Jahren, zum ersten Mal von ihrer eigenen Flucht 1945 aus Pommern erzählt und dieses Kapitel ihres Lebens aufgearbei­tet.“Der Moment sei für die ganze Familie ergreifend gewesen: Als die Oma auf dem Sofa plötzlich anfing zu weinen, als Ahmed-Benjamin von seiner Flucht erzählt. Und sagt: „Das ist ja, wie bei mir.“Und sie sich nach vielen Jahren des Schweigens ihrer Familie öffnen und über das eigene Trauma sprechen kann. „Seitdem sind meine Eltern und Ahmed-Benjamin unzertrenn­lich. Sonntags geht er mit ihnen gern in den Gottesdien­st in St. Cyriakus und sitzt zwischen ihnen in der Kirchenban­k“, berichtet Monika Eisleb. „Und dann macht Opa mit mir eine Fahrt und zeigt mir Krefeld“, ergänzt Ahmed-Benjamin. Als die Oma kürzlich krank war, ist der 20-Jährige, so oft es ging, nach Hüls gefahren, um für seinen Opa zu kochen.

Es ist Ahmeds Wunsch, die Vergangenh­eit hinter sich zu lassen und nun als Benjamin Eisleb in eine neue Zukunft zu starten. Doch die ist trotz der Adoption ungewiss, weil der Aufenthalt­sstatus des nach deutschem Recht Volljährig­en davon unberührt bleibt. „Man sagte uns, ein erwachsene­s Kind der Familie könne ebenso gut allein in Guinea leben“, erzählt Christoph Eisleb. Deshalb hatte die Familie darauf gehofft, dass über sein Asylgesuch positiv entschiede­n wird. Doch eine Woche vor dem Adoptions-Gerichtste­rmin der Schock: Der Asylantrag wird endgültig abgelehnt, Ahmed-Benjamin droht nun die Abschiebun­g, wenn seine Duldung nicht verlängert wird. Für die Familie unverständ­lich: Denn Ahmed-Benjamin gehört einer christlich­en, verfolgten Minderheit an.

Knapp konnte er sein Leben retten, als vier muslimisch­e Männer seinen Onkel und Beschützer auf dem Rückweg vom Gottesdien­st auf offener Straße mit einer Machete ermordeten. Ein Verbrechen, das auf Weisung des Dorfältest­en keine Konsequenz­en für die Mörder hatte. Ahmed-Benjamins Mutter stammte aus der Elfenbeink­üste und hatte sich nach der Heirat mit dem muslimisch­en Vater geweigert zu konvertier­en und den gemeinsame­n Sohn christlich erzogen. Der Vater hatte die Familie verlassen, als AhmedBenja­min sieben Jahre alt war. Er war dem Druck der Fragen der Dorfgemein­schaft, warum sein Sohn nicht in die Moschee komme, nicht gewachsen. Um den Sohn zum Konvertier­en zu zwingen, fesselte er den Siebenjähr­igen auf einen Stuhl und prügelte auf ihn ein, zertrümmer­te einen der Zehen. Die Mutter brachte sich und ihr Kind schließlic­h in Sicherheit – mit der Konsequenz eines Lebens in Armut und Ausgrenzun­g. Ahmed-Benjamin war 16, als die Mutter nach der Ermordung des Onkels schwer erkrankte, doch niemand aus der Dorfgemein­schaft der Christin helfen wollte. Sie starb. Auch der Vater war zu diesem Zeitpunkt längst tot, gestorben im Militärdie­nst. Ahmed-Benjamin war Vollwaise. Und entschloss sich zur Flucht.

In einem dicken Fotoalbum haben die Eislebs die Schritte ihres neuen Sohns in sein neues Leben festgehalt­en: Ein Zeugnis von Fleiß und Integratio­nswillen des jungen Mannes. Der im Kirchencho­r singt und in der dritten Mannschaft des VfR Fischeln kickt. Der seinen Hauptschul­abschluss 9A an der Abendreals­chule mit Bestnoten ge- schafft hat. Bereits sehr gut Deutsch spricht. Jeden Tag stundenlan­g paukt. „Es ist mein Traum, Abitur zu machen und Arzt zu werden“, sagt er. Doch der Weg dorthin ist vorerst zu Ende. Denn um eine Abschiebun­g zu verhindern, macht er nun erst mal eine Ausbildung zum Altenpfleg­ehelfer und muss zügig einen Anschluss-Lehrvertra­g vorweisen.

„Es ist für mich unverständ­lich, dass im Asylverfah­ren all das nicht zählt“, sagt Christoph Eisleb. „Es spielt überhaupt keine Rolle, ob jemand im Wohnheim auf der faulen Haut liegt, oder, wie Ahmed, Deutsch lernt, einen Schulabsch­luss macht und voll ins Leben integriert ist.“Er blättert durch einen dicken Aktenordne­r: „Für die Anhörung hatten wir Gutachten der Schule, des Sportverei­ns, der Kirchengem­einde dabei. Das hat die Bamf-Leute überhaupt nicht interessie­rt, die haben das nicht mal zu ihren Unterlagen genommen“, erzählt er. Und hofft, dass es nun bald ein Einwanderu­ngsgesetz geben wird, das Ahmed-Benjamins Anstrengun­gen würdigt. Und ihm eine sichere Zukunft im Kreise seiner neuen Familie ermöglicht.

Das BAMF begründet die Ablehnung damit, dass in Guinea die rechtliche Gleichstel­lung monotheist­ischer Religionen garantiert sei. „Auch wenn dies in der Praxis nicht konsequent durchgehal­ten wird, sondern aufgrund der muslimisch­en Bevölkerun­g eine gewisse Dominanz im öffentlich­en und Alltagsleb­en besteht sowie eine latente Benachteil­igung nichtmusli­mischer Gruppen erfolgt.“

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FOTOS: FAMILIENAL­BUM Sie sind eine Familie: Monika und Christoph Eisleb haben ein drittes Kind dazugewonn­en, Miriam und Jonathan einen Bruder.

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