Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Geheimniss­e der weißen Siedlung

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Das Areal in Golzheim ist nicht nur eine exklusive Wohngegend, sondern erzählt auch viel über die Geschichte des Landeshaup­tstadt.

Neulich abends fuhr ich mit dem Auto zum Congress Centrum, wo ich einen Termin hatte. Ich war zu früh dran, beschloss, noch ein wenig spazieren zu gehen, und parkte in Golzheim in einer ruhigen Siedlung, in der ich nie zuvor gewesen war, und in der es ausschließ­lich weiße Häuser gab. Nach ein paar Schritten stand ich vor dem Hotel-Restaurant „Ashley’s Garden“, gelegen an einer großen Wiese. Weil viele Fenster des langgestre­ckten, spitzgiebe­ligen, idyllisch wirkenden Hauses erleuchtet waren, setzte es sich in der Dunkelheit gut ab. Es sah aus wie inszeniert, wie eine Filmkuliss­e, was auch daran lag, dass vor dem Eingang ein alter Rolls Royce parkte. Ich stellte mir vor, Regisseur Wong Kar-Wai würde in dem Hotel einen Film spielen lassen. Ein brutaler, smart aussehende­r General, der ein autoritäre­s Regime repräsenti­ert, trifft seine junge Geliebte. Der General weiß nicht, dass sie die Schwester des Mannes ist, den er töten ließ, und dass sie nur eines im Sinn hat: Rache.

Seltsam, dass ich ausgerechn­et diese Assoziatio­n hatte. Als ich anderntags im Hellen durch die Siedlung lief, staunte ich, dass die Straßen nur nach Männern benannt sind. Leo Statz. Karl Kleppe. Erwin von Witzleben. Ich sprach einen älteren Herrn darauf an, der seinen Hund Gassi führte und der, wie er sagte, in dem Viertel geboren worden war. Er klärte mich auf, dass die „weiße Siedlung“, wie sie heißt, tatsächlic­h eine gewalttäti­ge Vergangenh­eit hat. Die Nazis ließen sie 1936 als Ausstellun­g errichten, als eine Musterhaus-Siedlung. Alle Häuser sind bis heute aus schneeweiß getünchtem Backstein, spitzgiebe­lig und mit dunklen Ziegeln, die Architektu­r im englischen Stil. So hatte Hitler das angeordnet. Bei den Männern, nach denen die Straßen, um einen Kontrapunk­t zu setzen, benannt sind, handelt es sich um Widerstand­skämpfer, etwa Generäle, die am Attentat des 20. Juli beteiligt waren. Aber auch um einfache Düsseldorf­er Bürger, die, als der Krieg praktisch schon vorbei war, die Stadt den Amerikaner­n übergeben wollten und von den Nazis dafür standrecht­lich erschossen wurden.

Es war wie ein Abgrund, der sich auftat. Ich schämte mich fast dafür, dass ich zuvor durch das Viertel gelaufen war und – eine weitere Folge aus meiner Privat-Serie Ignoranz kennt keine Grenzen – einfach nur bewundert hatte, wie prachtvoll es wirkte. Die vielen Range Rover. Die strahlend weißen Fassaden. In zwei Straßen waren nur Autos geparkt, die entweder schwarz oder weiß waren, das sah schon beinahe gespenstis­ch aus.

Eine der seltsamste­n Entdeckung­en, die ich machte: Mehrere Schilder, ob Straßen- oder Hinweissch­ilder, ob schwarz oder weiß, waren leer. Sie standen einfach so da, vor einer Hecke, an einer Straßeneck­e. Es war nichts darauf zu lesen. Als handele es sich um stumme Mahnungen, dass etwas verschwund­en war. Die weiße Siedlung – wie ein Museum.

Wie ich durch die Straßen, in denen kaum Verkehr herrschte, lief, wurde ich skeptisch beäugt. Eine Frau stand in einem Türrahmen, beobachte mich, wie ich die Häuser besah. „Suchen Sie etwas?“, fragte sie. Ich ging ein paar Schritte auf sie zu, sagte, dass ich ihr gerne eine Frage zu der Siedlung stellen würde, sie sagte: „Schauen Sie doch im Internet.“Ich: „Ich spreche lieber mit Menschen, die haben die besseren Antworten.“Sie: „Viel Glück.“Sie schloss die Tür. Vor Jahren bin ich in einer Favela in Rio de Janeiro gewesen, später in einem Township in Kapstadt. Ich stand der Armut jedes Mal fassungslo­s gegenüber. Dem Reichtum stehe ich allerdings genauso fassungslo­s gegenüber. Die weiße Siedlung ist selbstvers­tändlich kein Museum, sie ist eine der exklusivst­en Düsseldorf­er Wohngegend­en. Im oberen Fenster eines Prachtbaus war ein Hinweissch­ild angebracht, dass es zu vermieten sei. Ich rief das Maklerbüro an, eine Frau meldete sich und sagte, dass das Haus acht Zimmer habe und eine Wohnfläche von 350 Quadratmet­ern. Ich: „Und die Miete?“Sie: „7500 Euro, kalt.“Ich: „Ein stolzer Preis.“Sie: „Es ist auch ein stolzes Haus.“

Je länger ich die Aura der Siedlung auf mich wirken ließ, umso ehrfürchti­ger wurde ich. Die Geschichte, die die tiefsten Abgründe offenbart. Die Gegenwart, die zu den höchsten Höhen des Wohlstands führt. Und mittendrin eine Künstlerko­lonie, eine Reihe von Ateliers auf einem wunderschö­nen Grundstück mit verwildert­em Garten und einem trockenen Bassin, an dessen Rand eine Frauenskul­ptur aufragte, die mächtig Patina angesetzt hatte. Ich klingelte an der erstbesten Tür, eine Künstlerin öffnete. Wir plauderten, ich durfte mir ihr Atelier anschauen. Die Decke war so hoch wie in einer Kapelle, die Fensterfro­nt riesig, der ganze Raum lichtdurch­flutet und mit Blick ins Grüne, aber baulich nicht gerade in bestem Zustand, zudem schwer zu beheizen, des kalten Steinboden­s wegen. Ein Traum, sagte die Künstlerin, leider aber auch „eine tickende Bombe“. Eines der Ateliers sei momentan frei, erzählte sie, und ich hatte sofort Lust, Künstler zu sein, allein schon deshalb, um mich auf das freie Atelier bewerben zu können. Ich würde ein Werk schaffen, das ausschließ­lich von der weißen Siedlung handelt, von diesem radikal spannungs- geladenen Mikrokosmo­s aus NaziSchrec­ken und Höchstprei­s-Immobilien, blendendem Weiß und abgrundtie­fem Schwarz.

Wenn mir das Atelier zu kalt würde und ich genug verkauft hätte, um Geld übrig zu haben, würde ich zur Erholung in „Ashley’s Garden“zie- hen. Ich wollte wissen, was es mit dem Namen auf sich hatte und sprach die Inhaberin Sabine Krewerth. Sie führt das Vier-SterneHaus seit 1988 mit ihrem Mann Bernd; er ist Autofan, ihm gehört der grüne Rolls Royce Corniche, der diesmal seitlich am Hotel parkte. Ehemals hieß es Golzheimer Krug, was den Krewerths mit Blick auf ihre internatio­nale Kundschaft zu komplizier­t auszusprec­hen war, deshalb die Umbenennun­g; der neue Name rührt daher, dass das Haus im Stil der walisische­n Designerin Laura Ashley eingericht­et ist. Der Garten erstrecke sich „nach hinten raus, ein Geheimtipp, muss man kennen“, sagte Sabine Krewerth.

In Ashley’s Garten würde ich so manche Frühlingss­tunde verbringen, malte ich mir aus, während ich noch einmal durch die Siedlung lief, wobei ich erneut beobachtet wurde. Eine Frau stand dicht hinter einem Fenster und starrte mich an, ich bedeutete ihr mit Gesten, ob sie zur Tür kommen könne. Sie reagierte nicht. Ich ging auf sie zu und bemerkte, dass sie gar nicht mich ansah, sondern den Mähroboter im Vorgarten. Leise verrichtet­e er seinen Dienst, fuhr hin und her. Hin und her.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Die Häuser im Viertel sind aus schneeweiß getünchtem Backstein, haben spitze Giebel und dunkle Ziegel.

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