Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Haifisch ohne Zähne
Andreas Kriegenburg inszeniert am Düsseldorfer Schauspielhaus Brechts „Dreigroschenoper“als hübsch verlotterte Bettler-Farce. Das überzeugt musikalisch, bleibt aber weitgehend harmlos.
DÜSSELDORF Zur Hochzeit führt Mackie Messer seine Braut in einen Pferdestall. Der gehört ihm zwar nicht, doch wenn der Chef einer Diebesbande seine Liebste heimführt, ist so ein Einbruch nur standesgemäß. Genau wie die geklauten Möbel, die seine Kumpane nun heranschleppen. Sitzen kann das Brautpaar nicht auf ihnen, denn sie sind nur gemalt auf ein paar Fetzen Pappe. Hauptsache der Stil stimmt, da will Mackie sich nicht lumpen lassen. Schließlich ist seine Frau die einzige Tochter von Londons Bettlerkönig Peachum. Polly ist seine Trophäe; und so grinst Mackie, dass
Kriegenburg rückt die Musik ins Zentrum und setzt das Orchester in einen Käfig mitten auf
der Bühne
ihm die Schminke aus dem Gesicht bröckelt. Wenn das Leben schon kein wahres Glück bereithält, muss man die raren Momente des niederen Triumphs auskosten.
Für seine Inszenierung der „Dreigroschenoper“am Düsseldorfer Schauspielhaus hat Andreas Kriegenburg ganz dick auftragen lassen. Mackie, Peachum und der ganze verlotterte Hofstaat in diesem Gaunerstück trägt weiß zugespachtelte Gesichter zum viktorianischen Huren- und Bettlerkostüm. Sie sind traurige Clowns, böse Joker in einem hohlen Liebesdrama vergangener Tage. Alles ist Lüge, Behauptung, Niedertracht.
Nur wenn die Musik einsetzt, wenn die Schauspieler zu Kurt Weills unverwüstlichen Melodien vom armseligen Leben der Seeräuber-Jenny singen oder unter dem Mond von Soho das Zweckdenken über die Liebe stellen, erklingen Wahrheiten.
Und so hat Kriegenburg die Musik auch ins Zentrum des Geschehens gerückt. Wie ein Gefangenenorchester hocken die Musiker in ei- nem leicht versenkten Käfig mitten auf der Bühne, liefern diesen unverwechselbaren Weill-Sound aus Saxophon und Posaune, Klavier und Banjo, diese Mixtur aus Jazz und Jahrmarkt, die sich auf immer ins Hörgedächtnis frisst. Opernregisseur Kriegenburg schafft also optimale Bedingungen für den musikalischen Verlauf des Abends, Musiker und Sängerdarsteller sind im direkten Austausch. Und weil das Düsseldorfer Ensemble über eine ganze Reihe sängerisch hochbegabter Schauspieler verfügt, ist der Abend musikalisch eine Freude.
Allerdings kann der Zuschauer das Treiben rund um den Musikkäfig aus wohliger Distanz betrachten. Das alles geht ihn gar nichts an. Amüsiert kann er verfolgen, wie sich das Lumpenproletariat von einst genüsslich an die Gurgel geht. Die da unten unter sich – das ist so harmlos wie eine Folge von den Fussbroichs.
Dabei zielte Brecht mit seiner Geschichte vom Konkurrenzkampf eines Unternehmers im Mitleidsbusi- ness gegen einen groß aufgestellten Kleinkriminellen, doch gerade auf ein bürgerliches Publikum, das in seinem Aufstiegsstreben den Bettlern so unähnlich nicht ist. Wie in so vielen seiner Werke prangert Brecht auch in der „Dreigroschenoper“die Amoralität jener an, die sich moralisch geben, in Wahrheit jedoch nur die eigene Haut retten wollen. Die nicht daran interessiert sind, die Verhältnisse zu verändern. Nur die eigene Position darin verbessern wollen. Und natürlich gäbe es da jede Menge Bezugspunkte zu heute. Doch Kriegenburg setzt auf Amüsement, lässt sich viele verspielte Details einfallen, Kalauer, Komik, Klamauk. Da darf Serkan Kaya ruhig minutenlang aus der Rolle des Mackie Messers fallen und das Publikum mit seinem Talent als Akzentimitator unterhalten. Oder er lässt Tabea Bettin als Lucy und die opernstimmgewaltige Lou Strenger als Polly das Zickenkriegsbeil begraben, indem sie sich eine Sahnetorte teilen, dass es nur so kleckert. Das Ensemble zeigt enorme Spielfreude. Doch all die freundlichen Späße nehmen Brecht allen Biss und machen aus einer sarkastischen Bettleroper eine brave Nummernrevue im Moulin-Rouge-Milieu.
Das hat dann irgendwann Längen. Die Figuren hinter den bröckelnden Charaktermasken entwickeln sich ja nicht. Sie sind gefangen in der pittoresken Hässlichkeit einer untergegangenen Epoche der Dirnen und Diebe und absolvieren ihre Songs. Die tragen durch den Abend, wie sie die Jahrzehnte seit der Uraufführung 1928 überdauert haben. Vielleicht ist das tatsächlich der eigentliche Witz dieses Stückes, dass es dem Zuschauer Songs ins Hirn pflanzt, die von seiner eigenen Verderbtheit handeln. In dieser Inszenierung kommt das jedoch kaum zu Bewusstsein. Sie handelt ja von den anderen, in einer fernen Zeit.