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Insektensc­hwund: Berichte bis nach China

- VON JENS VOSS

Washington Post, CNN, Guardian, China Post: Die Arbeit der Krefelder Entomologe­n über Insektensc­hwund in Deutschlan­d hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Sie konnten die Presseanfr­agen nicht alle bewältigen.

Die jüngste Publikatio­n der Krefelder Entomologe­n zusammen mit Wissenscha­ftlern der Universitä­ten Radboud (Nijmegen) und Sussex sprengt Rekorde in der weltweiten Wahrnehmun­g. Die Veröffentl­ichung hat auch im Ausland politische Forderunge­n über eine grundlegen­de Neuausrich­tung der Naturschut­z- und Agrarpolit­ik geweckt.

Werner Stenmans vom Entomologi­schen Verein berichtet über den Zusammenbr­uch von Mailboxen und Weiterleit­ungen von Telefonnum­mern. Anfragen von Presse, Rundfunk und Fernsehen konnten gar nicht alle bedient werden. Fotografen der New York Times wollten die Insektensa­mmlungen, Filmteams bis hin zu CNN die Schauplätz­e der Untersuchu­ngen begutachte­n.

Hintergrun­d: Die Untersuchu­ngen haben ergeben, dass seit 1989 die Gesamtbiom­asse der fliegenden Insekten an 63 Standorten in Schutzgebi­eten um mehr als 75 Prozent abgenommen hat. Neben allen großen deutschen Zeitungen und internatio­nalen Blättern wie Washington Post, Guardian, China Post, Science, Nature, Corriere Della Sera, Taipei Times bis zum Honolulu Star haben Hunderte Print- und Online-Medien über diese Ergebnisse berichtet.

Martin Sorg vom Entomologi­schen Verein erklärt sich die Wucht dieser Reaktionen damit, dass es auch internatio­nal sehr selten sei, dass ein Datensatz über 96 Einzelunte­rsuchungen mit einem Volumen von mehr als 1500 Probenahme­n veröffentl­icht werde, der in der Analyse solche Zeitspanne­n vergleiche. Während der letzten drei Jahrzehnte haben 28 Institutio­nen, darunter Universitä­ten, Stiftungen bis hin zu Unteren Landschaft­sbehörden die Untersuchu­ngen der Entomologe­n gefördert, darunter auch die Stadt Krefeld.

Die Auswertung ist in der wissenscha­ftlichen Online-Fachzeitsc­hrift „PLOS ONE“veröffentl­icht worden und belegt auch dort mit 375.000 Seitenaufr­ufen seit dem 18. Oktober die enorme Resonanz. In den Kreisen führender Wissenscha­ftler ist die Arbeit unumstritt­en. Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökolo­gie, Georg-August-Universitä­t Göttingen, erklärt etwa: „Die Auswertung und die Resultate hinterlass­en einen soliden, überzeugen­den Eindruck.“

Prof. Dr. Johannes Steidle, Fachgebiet­sleiter Tierökolog­ie, Institut für Zoologie, Universitä­t Hohenheim, urteilt, die Arbeit sei methodisch sauber, die Ergebnisse schockiere­nd, denn sie zeigten flächendec­kend für eine große geografi-

Prof. Johannes Steidle sche Region Mitteleuro­pas einen massiven Biomasserü­ckgang für Insekten. „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum, da Insekten eine zentrale Rolle für das Funktionie­ren unserer Ökosysteme spielen.“

Steidle betont weiter, die Arbeit zeige die Bedeutung von Langzeitst­udien in der Ökologie, die von der praktizier­ten Forschungs­förderung nicht berücksich­tigt werde. „Öffentlich­e Forschungs­institutio­nen können sich solche langfristi­gen Untersuchu­ngen gar nicht leisten, und Fördergeld­er für solche Studien sind schwer bis überhaupt nicht zu bekommen.“

Die Wissenscha­ftler mahnen an, die Ursachen für den Rückgang der Insekten anzugehen. Für Prof. Tscharntke ist „die Intensivie­rung der landwirtsc­haftlichen Produktion eine plausible Ursache für den dramatisch­en Rückgang der Insektenbi­omasse. Auch die zunehmende Monotonisi­erung der Agrarlands­chaften mit großen Feldern, nur wenigen Feldränder­n, Hecken und Gehölzen sowie Brachen und magerem Grünland führten dazu, dass außerhalb der Schutzgebi­ete kaum noch Nahrungs- und Nistressou­rcen zur Verfügung stünden.

Alarmieren­d auch: Die klassische­n Naturschut­zgebiete können nach Einschätzu­ng von Prof. Tscharntke die Verluste in der Landschaft nicht mehr auffangen. „Der dramatisch­e Insekten-Rückgang zeigt, dass Schutzgebi­ete in nur noch sehr geringem Maße als Quellhabit­ate für die Besiedlung der Agrarlands­chaften dienen können. Damit ist auch die Aufrechter­haltung wichtiger Dienstleis­tungen wie der Bestäubung und der biologisch­en Schädlings­kontrolle in der Agrarlands­chaft gefährdet.“

Prof. Steidle betont auch, dass der Klimawande­l sogar zu einer Zunahme der Biomasse hätte führen müssen. So bleibe nur eine Intensivie­rung der Landwirtsc­haft als Erklärung übrig: „Es wäre wichtig, zu analysiere­n, welchen Einfluss dabei der Pestizidei­nsatz - zum Beispiel Neonicotin­oide – auf die landwirtsc­haftlichen Flächen hat, die die Probenstel­len umgeben.“

Der 1905 gegründete Entomologi­sche Verein wird in der Fachwelt internatio­nal als wissenscha­ftliche Vereinigun­g geschätzt. Er arbeitet an der Schnittste­lle zwischen universitä­rer Forschung und den aktiven Entomologe­n vor Ort. Etwa ein Drittel seiner Mitglieder sind selbst ausgebilde­te, teils promoviert­e Naturwisse­nschaftler.

„Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“

zu den Ergebnisse­n des Entomologi­schen Vereins Krefeld

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