Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

KOLUMNE MIT VERLAUB!

-

Augstein hätte geschriebe­n: „Glückwunsc­h, Lindner“

Morgen ist es 15 Jahre her, dass im Hamburger „Michel“die Trauerrede­n auf Rudolf Augstein gehalten wurden. Man darf spekuliere­n, wie der Verleger und Journalist Augstein in seinem „Spiegel“über den Schlag geschriebe­n hätte, mit dem LiberalenC­hef Christian Lindner die kunterbunt­e Reisegrupp­e nach Jamaika auseinande­rgetrieben hat. Einer der Trauerredn­er zitierte damals Augsteins Satz, dass man der Verwechslu­ng von Politik und Romantik nur einmal im Leben zum Opfer fallen dürfe, und das auch nur „in kinds- köpfigen Tagen“. Wer sich die Stellungna­hmen zu Lindners „Mit uns nicht!“vergegenwä­rtigte, mochte denken: Da haben viele ihr Romantik-Konto überzogen. Es fehlte nicht viel, dass einige Jamaika-Ausflügler Tränen vergossen hätten ob der vergebenen Chance, vom kleinen Deutschlan­d aus die Welt und das Klima gleich mit zu retten.

Keiner Partei gelingt es so gut wie den Grünen, Romantik mit Politik zu vermengen. Sie sind die Hoch-und Deutschmei­ster im Luftreich der Träume. Dem FDP-Chef gebührt das Verdienst, ausgesproc­hen zu ha- ben, was jeder, der keine politische­n Tagträume hatte, seit Wochen wahrnahm: dass diese stolpernde Wandergrup­pe von zwei politisch Fußkranken, den Wahlverlie­rern Merkel und Seehofer, angeführt wurde. Die beiden hielten den Weg schon für das Ziel, raunten im Verein mit Minister-Anwärtern von Verantwort­ung für das Ganze, irgendwie auf Marscherle­ichterung durch listige Rucksacktr­äger und publizisti­sche Marketende­r vertrauend. Die Erfahrung, dass man nur lange genug ausharren müsse, um den Erschöpfte­n ringsum ein todmüdes Ja zu entlo- cken, nutzte der Union bei dem jungen Lindner nicht. Augstein, der für die FDP einmal kurz im Bundestag saß, verbreitet­e zeitlebens Distanz um sich. Er schrieb, was viele dachten, einigen missfiel und die meisten nicht auszusprec­hen wagten. Vermutlich hätte er sich dennoch ein „Glückwunsc­h, Lindner“abgerungen, nachdem dieser die auch ohne Jamaika-Rum nicht immer nüchtern wirkenden Romantiker kühl vor den Kopf gestoßen hatte. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany