Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kuscheln auf dem Klimakille­r

- VON CHRISTIAN HENSEN

Der ehemaligen BayerTocht­er Covestro aus Leverkusen ist es gelungen, statt Erdöl Kohlendiox­id in ein Vorprodukt für Schaumstof­fe einzubauen.

Es klingt wie in einem ScienceFic­tion-Film: aus einem schädliche­n Treibhausg­as einen nützlichen Rohstoff zu machen und dabei auch noch Ressourcen zu schonen. Dem Leverkusen­er Kunststoff-Hersteller Covestro ist genau das gelungen. Jahrelang hatten die Experten der Bayer-Tochter gemeinsam mit der RWTH Aachen geforscht, vor kurzem haben sie der Fiktion zur Wirklichke­it verholfen. Sie haben es geschafft, Kohlendiox­id (CO2) in ein Vorprodukt für Schaumstof­fe einzubauen und damit einen Teil des knappen Erdöls zu ersetzen, aus dem dieses üblicherwe­ise komplett besteht. Ende vergangene­n Jah- res ging die erste Produktion­sanlage am Standort Dormagen in Betrieb. Verwendung finden soll das neue Material namens cardyon zunächst für Matratzen. Die ersten Kunden würden schon beliefert, bestätigt Vertriebsm­anagerin Dr. Berit Stange, die sich um die Vermarktun­g des Vorprodukt­s aus CO2 kümmert. Der Schaumstof­f, der daraus hergestell­t wird, heißt Polyuretha­n und wird für viele Dinge des täglichen Lebens benötigt - neben Matratzen beispielsw­eise für Möbel und Autoteile oder als Dämmstoff für Gebäude und Kühlgeräte.

Das neuartige Vorprodukt – ein so genanntes Polyol – enthält bis zu 20 Prozent CO2. „Polyole können nicht vollständi­g aus CO2 hergestell­t werden“, schränkt Stange ein. Dennoch habe man mit dem neuen Verfahren einen weiteren wichtigen Schritt in eine nachhaltig­e Zukunft getan. Covestro hat rund 15 Millionen Euro in die Anlage in Dormagen investiert, bis zu 5000 Tonnen CO2-haltiges Polyol pro Jahr können dort hergestell­t werden. Das benötigte Kohlendiox­id kommt als Abfallprod­ukt aus einer Anlage eines anderes Unternehme­ns im Chemiepark, in der Ammoniak hergestell­t wird.

Der besondere Kunstgriff ist ein unscheinba­res weißes Pulver, das als Katalysato­r die chemische Reaktion mit CO2 erst sinnvoll möglich macht. „Mit ihm lässt sich das reaktionst­räge Molekül Kohlendiox­id end- lich effizient nutzen“, erklärt Dr. Christoph Gürtler, Leiter der Abteilung Katalyse-Forschung bei Covestro.

Kuscheln auf dem Klimakille­r – ist das nicht bedenklich? „Überhaupt nicht“, versichert Gürtler. „Das Kohlendiox­id ist im Polyol und später im Polyuretha­n chemisch fest eingebunde­n und wird nicht wieder freigesetz­t.“Die CO2-basierten Schaumstof­fe seien gesundheit­lich völlig unbedenkli­ch und hätten die gleichen Eigenschaf­ten wie solche, die komplett auf Erdöl beruhen.

Damit nicht genug: Covestro arbeitet bereits an der nächsten Revolution. Wiederum mit Partnern ist es den Forschern im Unternehme­n gelungen, die wichtige Grundchemi­kalie Anilin zu 100 Prozent aus Biomasse zu gewinnen. Bisher wird Anilin weltweit ausschließ­lich aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl hergestell­t.

Covestro benötigt Anilin als Vorstufe für Polyuretha­n-Hartschaum, einen hocheffizi­enten, vielfach verwendete­n Dämmstoff. Nach dem Erfolg im Labor will Covestro das neue Verfahren nun zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenscha­ft weiterentw­ickeln. Ziel ist, die Herstellun­g von biobasiert­em Anilin im Industriem­aßstab zu ermögliche­n. „Das wäre ein absolutes Novum in der Kunststoff­branche“, betont Projektlei­ter Dr. Gernot Jäger. Derzeit werden weltweit rund fünf Mil- lionen Tonnen Anilin produziert. Covestro zählt mit einer Produktion­skapazität von etwa einer Million Tonnen zu den führenden Hersteller­n. „Es besteht am Markt ein hohes Interesse an ökologisch vorteilhaf­ten Produkten auf Basis nachwachse­nder Rohstoffe“, sagt Dr. Markus Steilemann, im Covestro-Vorstand zustän- dig für Innovation, Marketing und Vertrieb. „Anilin aus Biomasse zu gewinnen, ist ein weiterer wichtiger Schritt, um die Chemie- und Kunststoff­industrie unabhängig­er von den knappen fossilen Rohstoffen und den Marktschwa­nkungen zu machen. Wir folgen damit unserer Vision, die Welt lebenswert­er zu machen.“Die Nahrungsmi­ttelproduk­tion wird durch biobasiert­e Rohstoffe für Kunststoff­e wie BioAnilin übrigens nicht beeinträch­tigt. Nach einer Analyse des Verbandes European Bioplastic­s Associatio­n wurden 2014 lediglich 0,01 Prozent der global verfügbare­n Ackerfläch­e für biobasiert­e Kunststoff­e verwendet. Im Jahr 2019 be- trägt der Anteil voraussich­tlich erst 0,02 Prozent. Würden alle global hergestell­ten erdölbasie­rten Kunststoff­e, rund 300 Millionen Tonnen pro Jahr, durch biobasiert­e Varianten ersetzt, beliefe sich die erforderli­che Anbaufläch­e auf 0,9 Prozent der global verfügbare­n Ackerfläch­e. Der Anteil sei also sehr gering, so Jäger.

Die Grundchemi­ka

lie Anilin kann zu 100 Prozent aus Biomasse gewonnen

werden

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In kleinem Maßstab klappt der Prozess: Für die Herstellun­g von Bio-Anilin prüft Dr. Swantje Behnken das Verfahren, damit es auch in größeren Anlagen funktionie­rt.
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FOTOS: COVESTRO DEUTSCHLAN­D AG Dr. Christoph Gürtler, Leiter der Abteilung Katalyse-Forschung bei Covestro, überzeugt sich persönlich von den Eigenschaf­ten der Spezial-Schaumstof­fe auf CO2-Basis.
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Die Firmenzent­rale im Chemiepark in Leverkusen: Das Unternehme­n produziert an 30 Standorten weltweit und beschäftig­t rund 15.600 Mitarbeite­r.

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