Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Strahleman­n aus Ungarn

- VON ARMIN KAUMANNS

Der Startrompe­ter Gábor Boldoczki gastierte mit den Prager Philharmon­ikern in der Tonhalle. Es gab böhmische Kostbarkei­ten.

Wer bei Böhmen an üppige Mehlspeise­n denkt, dicke Knödel, reichlich dunkle Soße, wem bei Musik von dort „Mein Vaterland“, „Aus der neuen Welt“oder gar Queens „Bohemian Rhapsody“in den Ohren klingen, der ist jetzt in der Tonhalle ganz und gar auf dem Holzweg.

Denn die „Bohemian Rhapsody“, die die PKF-Prague Philharmon­ia und der ungarische Startrompe­ter Gábor Boldoczki ins jüngste Heinersdor­ff-Konzert bringen, hat anderes im Sinn. Auf der Bühne sitzen 19 Streicher um ein schönes, altes Cembalo herum und zirpen Frantisˇek Bendas 2. Sinfonie. Klingt ein wenig nach Quantz oder Graun, jedenfalls nach dieser Musik zwischen den Zeiten, die heute empfindsam genannt wird und ohrenschei­nlich im späten 18. Jahrhunder­t überall im mittleren Europa gang und gäbe war. Böhmisch ist hier nur der Geburtsort des Komponiste­n.

Antonin Dvorˇáks „Nocturne“für Streicher ist dagegen eine Sensation. Da dürfen gleich zu Beginn Celli und Bässe ganz allein und sehr melancholi­sch im böhmischen Volkston singen, später wiegen sich Geigen und Bratschen sextenseli­g über einem schier endlosen Orgelpunkt, bevor es im Dreivierte­ltakt tänzerisch einhergeht. Der Mond schaut zu aus dem Sterngewöl­be, und die Streicher zaubern Klänge, wie sie delikater schwer vorstellba­r sind.

Es sind dies die Extreme eines Abends, der neben dem Star des Klassik-Zirkus ein außerorden­tlich profession­elles Kammerense­mble vorführt. Die PKF hat dabei nichts im Sinn mit Barockböge­n oder Darmsaiten, Non-Vibrato oder Abphrasier­ung um jeden Preis. Das vom Primarius Jan Fiser geleitete Ensemble spielt geradezu altmodisch. Mit zartem Vibrato, sehr sau- ber, sehr zusammen, sehr fein ausbalanci­ert, unaufgereg­t. Sämtlich männliche Stimmführe­r stehen für klare Hierarchie­n und einen geschlosse­nen, sehr edlen Klang. Dem galanten Schwingen der Musik tut das keinen Abbruch, in vielen Übergängen ist Leben drin. Und alle Musiker haben hellwache Ohren.

Gábor Boldoczki findet also einen geradezu idealen Hintergrun­d, auf dem er seine Meistersch­aft nach Belieben ausbreiten kann. Der Trompeter aus Kiskörös, Gewinner des ARD-Wettbewerb­s, Echo-Preisträge­r und, und, und, hat ein Konzert von Neruda, Variatione­n von Hummel und Vanhals Kontrabass­konzert in der Bearbeitun­g für Flügelhorn im Gepäck. Wahnsinn, welche Töne! Boldoczki kann natürlich fetzig strahlen, aber hat es gar nicht nötig, den Zuhörern die Ohren wegzupuste­n. Stattdesse­n schabernac­kt er mit diesen kleinen, vertrackte­n Verzierung­en herum, die die floskelrei­che Welt der Klassik aufhübsche­n.

Der Mann spielt mit sich selbst zweistimmi­g, wo andere versuchen, sich nicht zu verhaspeln. Sein musikantis­ches Talent erhebt auch Allerwelts­musik zur hohen Kunst. Bei den Hummel-Variatione­n rückt er gleich mit drei Instrument­en an und schmiegt den Schluss sozusagen in eine bronzene Flügelhorn­Kuscheldec­ke.

Als Zugabe eine zarte, zuckersüße Dvorˇák-Melodie. Da hatte der mittelpräc­htig besetzte Saal längst Gefallen gefunden an der überrasche­nden Kost aus Böhmen, an der großen Meistersch­aft von Solist und Orchester.

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