Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der weibliche Pop-Kanon

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Listen mit den größten Alben aller Zeiten sind meist männlich dominiert. Wir setzen deshalb 100 beste Platten von Frauen dagegen.

DÜSSELDORF Warum ist der PopKanon eigentlich so männlich? Auf der Liste der „500 besten Alben aller Zeiten“des US-Magazins „Rolling Stone“steht die bestplatzi­erte Platte einer Frau nur auf Rang 30: „Blue“von Joni Mitchell aus dem Jahr 1971. Diese Hitparade gilt allgemein als maßgeblich und verbindlic­h. Aber gibt es wirklich keine Künstlerin, die den Beatles, Bob Dylan, den Stones und den Beach Boys, die stets ganz oben zu finden sind, das Wasser reichen können? Und hat in den vergangene­n 46 Jahren echt keine Mu- sikerin ein Kunstwerk geschaffen, das „Blue“übertrifft oder sogar eine Konkurrenz für „Sgt. Pepper“wäre, die ewige Nummer eins?

Frauen dominieren die Gegenwart des Pop, lange schon. Jeder spricht über die neue Single von Taylor Swift, die letzte Einlassung von Beyoncé und die tollen Konzerte von Adele und Katy Perry. Auf die Pop-Tradition hat das offenbar keine Auswirkung­en. In der „New York Times“schrieb der Autor Wesley Morris neulich einen Text über die Musik, die er in Cafés und anderen öffentlich­en Orten zu hören bekommt. Sein Fazit zitiert ein Lied der Weather Girls: „It’s raining men.“Die Statistik bestätigt das. Tatsächlic­h sind von 824 Künstlern in der „Rock ’n’ Roll Hall Of Fame“gerade mal 65 weiblich. Unter den bisher 300 nominierte­n Künstlern für den Grammy in der Kategorie „Album des Jahres“waren 75 Prozent männlich. In den Jahren 1988, 1992 und 1994 wurde der Grammy in der Kategorie „Female Rock Vocal“gar nicht erst vergeben. Angeblich, weil es keine Kandidatin­nen gab, die gut genug gewesen wären.

Muss man sich darüber aufregen? Ja. Solche Listen, Platzierun­gen und Ehrungen wirken wie eine notarielle Beglaubigu­ng von Qualität. Wer sieht, dass Bob Dylan seit Jahrzehnte­n mehrere Alben in den Top 20 der besten Veröffentl­ichungen aller Zeiten hat, wird den Künstler auf jeden Fall hören wollen. Dylans Werk wird auf diese Art tradiert, Dylan selbst zu einem Helden der Rockhistor­ie. Dylan wird immer größer, weil man seine Güte bekräftigt, während die Leistung vieler Frauen im Rückblick geschmäler­t wird. Ein Beispiel: Whitney Houston galt zu Lebzeiten als eine der größten Sängerinne­n der Welt. Nach ihrem Tod betrachten viele sie nurmehr als bemitleide­nswertes Drogen-Wrack. Ihre Platten klingen aber nicht anders als an dem Tag, da sie erschienen sind. Ein Kanon ist nicht einfach so da, er wird gemacht. Und er sollte von vielen gemacht werden, von Menschen mit unterschie­dlichen Zugängen, Standpunkt­en und biografisc­hen Hintergrün­den.

Zuletzt hat es den Anschein, als änderte sich etwas. Frauen im Pop sind ein Wirtschaft­sfaktor, die mächtigste­n Popstars sind weiblich. Soeben erreichte die erste SoloRapper­in seit 19 Jahren Platz eins der amerikanis­chen Charts: Cardi B mit dem Stück „Bodak Yellow“. Zu- vor war Lauryn Hill das Kunststück gelungen. Und: Die Mit-Schöpferin der Titelmelod­ie zur Fernsehser­ie „Doctor Who“wurde just posthum mit der Ehrendokto­rwürde der Universitä­t Coventry bedacht. Das ist deshalb bedeutsam, weil die Mitwirkung von Delia Derbyshire an dem für alle Spielarten der elektronis­chen Musik prägenden Stück aus dem Jahr 1963 lange verschwieg­en wurde. Als Komponist genannt wurde lediglich Ron Grainer.

Vielleicht ist das also ein guter Zeitpunkt für einen weiblichen PopKanon. Er soll die Leistungen der Beatles und Stones nicht in Frage stellen. Er soll aber zeigen, was außerdem noch da ist. Es gibt auch Heldinnen. Es gibt große Künstlerin­nen neben Joni Mitchell. Ghettoisie­rt eine solche Liste weibliche Kunst am Ende? Nein. Denn sie ist Sade Kate Bush Madonna Aretha Franklin Patti Smith

Wenn Musik in Cafés gespielt wird, heißt es zumeist: „It’s raining men“

Tina Turner Marianne Faithfull Grace Jones Barbra Streisand Amy Winehouse

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FOTOS: LABELS | GRAFIK: ZÖRNER

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