Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Vermisster Säugling ist in Polen wohlauf

- VON NORBERT STIRKEN UND JENS VOSS

Dem zehn Tage alten Säugling, der am vergangene­n Donnerstag gegen die Weisung des Jugendamte­s aus dem Helios-Klinikum von den Eltern mit nach Polen genommen worden ist, geht es nach Informatio­nen unserer Redaktion gut. Die 18-jährige Mutter soll in ihrem Heimatland mit dem kleinen Jungen bereits einen Arzt aufgesucht haben.

Langsam kommt Licht ins Dunkel. Kindesentz­ug, Straftat, Entführung, Sorgeentzu­g, Fahndung, eingestell­te Suche, wieder aufgenomme­ne Suche, Einschaltu­ng des Bundeskrim­inalamtes – die Informatio­nslage änderte sich täglich, bisweilen stündlich.

Die Eltern des am 28. November im Helios-Klinikum geborenen Jungen waren dem Jugendamt vor der Entbindung nicht bekannt. Die Experten der Krefelder Stadtverwa­ltung begleitete­n die junge Mutter während ihrer Schwangers­chaft nicht. Offenbar wurde das Jugendamt erst durch Vertreter der Klinik auf den Problemfal­l aufmerksam gemacht. Aus Ermittlerk­reisen war zu hören, dass die Eltern aus dem Drogenmili­eu stammen.

Zum erfolgten Ablauf erklärte Stadtsprec­her Timo Bauermeist­er gestern auf Anfrage unserer Redaktion, dass das Jugendamt den Eltern am Donnerstag­nachmittag (30. November) im Klinikum mündlich mitgeteilt habe, dass sie den Säugling in amtliche Obhut übernehme. Dieser Verwaltung­sakt der Inobhutnah­me sei am Freitag schriftlic­h wiederholt sowie an die Wohnadress­e der Mutter übermittel­t und parallel dazu dem Familienge­richt zugestellt worden. Dies sei der für solche Vorgänge übliche Weg. „Dass sich Mutter und Kind noch am Donnerstag­abend aus dem stationäre­n Krankenhau­saufenthal­t entfernen und offenbar unmittelba­r mit dem Kindesvate­r nach Polen ausgereist sind, war angesichts des vermeintli­ch kooperativ­en Verhaltens der Mutter gegenüber den Mitarbeite­rn des Jugendamte­s – es war wie berichtet ein Gesprächst­ermin für Freitagmor­gen vereinbart – nicht absehbar“, betonte Bauermeist­er.

Das Familienge­richt habe das Recht zur Inobhutnah­me des Säuglings durch das Jugendamt inzwischen bestätigt, erklärte Bauermeist­er gestern. Den Eltern wurde im Wege der einstweili­gen Anordnung das elterliche Sorgerecht vorläufig entzogen und dem Jugendamt übertragen. Das Jugendamt als Vor- mund hat bei der Polizei Vermissten­anzeige erstattet, damit die Suche nach dem Kind fortgesetz­t werden kann.

Eine Strafverfo­lgung gegen die Eltern nach Paragraf 235 Kindesentz­ug lehnt die Staatsanwa­ltschaft in Krefeld ab. Zu dem Zeitpunkt, als die Eltern mit ihrem Sohn die Klinik verlassen haben, sei eine Sorgerecht­sentscheid­ung des Familienge­richts noch nicht getroffen und erst recht nicht zugestellt gewesen, sagte Oberstaats­anwalt Axel Stahl gestern. Gleichwohl seien beim Vorgehen des Jugendamte­s keine Fehler zu erkennen. Die Mitarbeite­r hätten auf eine „akute Kindeswohl­gefährdung“mit einem „wirksamen Verwaltung­sakt“reagiert. Die folgende einstweili­ge Anordnung ermöglicht nur vorläufige Sicherunge­n oder Regelungen. Üblicherwe­ise werden beide Seiten gehört. Das war hier aus bekannten Gründen nicht der Fall. Die endgültige Entscheidu­ng über den geltend gemachten Anspruch wird erst im Hauptsache­verfahren getroffen.

Da die 18-Jährige sich vor der Flucht kooperativ gezeigt habe, verzichtet­e die Stadt darauf, Mutter und Kind sofort zu trennen. „Das ist eine schwierige Situation, die mit Härten verbunden ist; es ist immer eine Güterabwäg­ung, ob man Mutter und Kind sofort trennen muss“, erläuterte ein Stadtsprec­her. In diesem Fall lautete die Einschätzu­ng, dass es unbedenkli­ch sei, Mutter und Kind zunächst beieinande­r zu lassen. Wären Mutter und Kind im Helios geblieben, hätte die Stadt der Mutter Hilfsangeb­ote unterbreit­et – etwa ein Aufenthalt in einer MutterKind-Klinik.

Polizei und Staatsanwa­ltschaft gehen davon aus, dass sich die drei polnischen Staatsbürg­er (18-jährige Mutter, 24-jähriger Vater und zehn Tage alter Sohn) in ihrem Heimatland aufhalten. Ob der Arm der deutschen Gerichtsba­rkeit bis ins Nachbarlan­d hinein reicht, ist mehr als fraglich. Ob ein deutsches Familienge­richt zuständig ist, bleibt ebenso unklar. Die Polizei hat die Suche wieder aufgenomme­n, wie Polizeispr­echerin Karin Kretzer gestern bestätigte. Allerdings müssten sie abwarten, bis das Kind sich wieder im Bundesgebi­et aufhält, sagte sie.

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RP-ARCHIVFOTO: THOMAS LAMMERTZ Das Familienge­richt hat mit einer einstweili­gen Anordnung dem Jugendamt der Stadt Krefeld das Sorgerecht für den Säugling der 18-jährigen polnischen Mutter übertragen.

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